Sven Giegold

Ein Europäischer Weg aus den Haushaltslöchern

Ein hellenisches Haushaltsbeben erschütterte die EU in der letzten Woche. Rating-Agenturen stuften die Bonitätsnoten für Griechische Staatsanleihen empfindlich herab. Die Herabstufung ist nur oberflächlich betrachtet der Auslöser für die Schwere des Bebens. Dahinter liegen katastrophale Haushaltsdaten aus vielen Mitgliedsländern. Pedantisch hat die EU-Kommission in der Publikation „Sustainability Report 2009“ aufgelistet, wie groß die Herausforderungen für die öffentlichen Finanzen sind. Neben den – hoffentlich – einmaligen Kosten der Finanzkrise stehen die meisten Mitgliedsländer vor langfristigen Problemen mit ihren Haushalten durch die Zinslasten der Altschulden sowie den demographischen Wandel. Besonders betroffen sind Irland, Griechenland, Spanien, Slowenien und Großbritannien. Sie müssen langfristig 12% ihres Bruttoinlandsprodukts jährlich umschichten, um die öffentlichen Haushalte in Balance nach den EU-Vorgaben zu bekommen. Eine große Herausforderung.

Das Gefährliche dieser Entwicklung ist die Tendenz zur Selbstverstärkung. Sind die Bonitätsnoten einmal gefallen, steigen die Zinskosten zur Finanzierung der Staatsschuld. Das geht meist auf Kosten der öffentlichen Investitionen und senkt damit die Chancen eines Landes aus einer Haushaltskrise herauszuwachsen. Die ökonomischen Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone werden dadurch größer. Diese Entwicklung treibt einen Keil zwischen die Mitgliedsländer der Eurozone.

Griechenland ist nur die Spitze eines finanzpolitischen Eisbergs. Sicher, die Probleme sind in Griechenland wie in anderen besonders betroffenen Ländern hausgemacht. Die niedrigsten Abgabenquoten aller Länder der Eurozone hatten mit Abstand Griechenland und Irland mit 32,1% des BIP und 31,2%. Griechenlands chronische Unfähigkeit Steuern zu erheben, muss es selbst in den Griff bekommen. Wie Irland muss es lernen, Steuern einzunehmen, um seine Haushaltsprobleme zu lösen. Dass auch Ausgabenkürzungen auf der Agenda stehen, ist angesichts der Größe der Herausforderungen offensichtlich.

Es greift jedoch zu kurz, die Verantwortung zur Stabilisierung der Haushalte alleine den Einzelstaaten zuzuweisen. Gerade die Mitgliedsländer der Eurozone sind stark voneinander abhängig. Während ihre Ökonomien immer stärker integriert sind, ist die Kooperation bei der Lohnfindung wie bei der Ausgaben- und Steuerpolitik der Staaten wenig entwickelt. Deutschland, Österreich und die Niederlande haben auch durch eigene Lohnzurückhaltung und wettbewerbsorientierte Abgabenpolitik hohe Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber ihren Partnerländern in der Eurozone erreicht. Durch die gemeinsame Währung bleibt ihnen der Weg in die Abwertung versperrt. Angesichts einer angeschlagenen Wettbewerbsposition fällt es den Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten wie Frankreich, Spanien und Italien logischerweise auch schwerer ihre Staatshaushalte in Balance zu bringen.

Doch damit nicht genug. Die Länder der Europäischen Union leisten sich auch noch einen intensiven Steuerwettbewerb. Die nominellen Steuersätze auf Gewinne von Körperschaften sind bei den Mitgliedsländern der Euro-Zone zwischen 1995 und 2009 von 37,5% auf 25,9% gesunken. Die Spitzensteuersätze der Einkommenssteuer fielen zwischen 1995 und 2008 von 50,4% auf 42,1%.  Zwar führte das bislang nicht zur Erosion der effektiven Kapitaleinkommensbesteuerung, die Souveränität der Mitgliedsländer ist jedoch stark eingeschränkt. Gerade bei den Kapitaleinkommen entziehen sich Steuerpflichtige durch Steuervermeidung und Steuerflucht der Besteuerung.

Angesichts der strukturellen Krise der öffentlichen Haushalte vieler Mitgliedsländer sollte der EU-Binnenmarkt die Staaten unterstützen, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen statt ihnen das Leben schwer zu machen. Wir müssen von der Steuerkonkurrenz zur Steuerkooperation übergehen. Die EU-Ratspräsidentschaften wie auch die Kommission sollte das Thema einer gemeinsamen steuerlichen Bemessungsgrundlage für grenzüberschreitende Unternehmen und von Mindeststeuersätzen, die nach Wohlstand der Mitgliedsländern gestaffelt sein müssten, wieder auf die Tagesordnung der Union setzen. Die EU-Zinsrichtlinie, die Steuerflucht von Privatpersonen in der EU eindämmen soll, muss dringend auf alle Kapitaleinkommen und juristische Personen ausgeweitet werden. Durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des automatischen Informationsaustausches auf alle Kapitalerträge könnte die Steuerflucht im Bereich von Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinnen effektiv unterbunden werden. Falls all dies am Widerstand einzelner Staaten scheitert, sollte diese Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit zunächst nur innerhalb der Eurozone oder mit einer sogenannten „verstärkten Zusammenarbeit“ von Mitgliedsländern verwirklicht werden.

Dieses Paket mag machen Mitgliedsländern, die bislang mit niedrigen Steuersätzen Kapital anzuziehen suchten, nicht gerade attraktiv erscheinen. Allerdings leiden viele genau dieser Staaten unter hohen Zinsen zur Finanzierung ihrer Defizite. Ihnen könnte die Zustimmung erleichtert werden, wenn Länder mit guten Bonitätsnoten die Risiken der Kreditaufnahme mit ihnen teilen würden. Damit würde die Zinslast, unter denen die Staaten insgesamt ächzen, insgesamt deutlich geringer. Solche Vorschläge, wie auch die Idee der Eurobonds, erschienen wiederum Staaten mit günstigem Zugang zum Kapitalmarkt wenig attraktiv. In der Kombination beider Politikvorschläge könnte politisch jedoch ein Schuh daraus werden.

Diese Schritte brauchen politische Entschlossenheit zur europäischen Zusammenarbeit. Zwar sucht man diesen europäischen Geist in den Hauptstädten gerade der großen Mitgliedsländer wie dem unseren oft vergeblich. Ohnehin ist es wohl nur im Zuge einer Krise möglich, den zu erwartenden Widerstand der Nutznießer von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung zu brechen. Allerdings war die Gelegenheit die europäische Steuerkonkurrenz zu überwinden und zur Kooperation überzugehen wohl nie größer als jetzt im Angesicht des Tals der Tränen der Staatsfinanzen. Nutzen wir diese Chance!