Sven Giegold

Die ZEIT: Ohne uns! Wie die Bundesregierung über Monate hinweg Brüsseler Pläne für eine europäische Bankenaufsicht bekämpfte

Ohne uns! Wie die Bundesregierung über Monate hinweg Brüsseler Pläne für eine europäische Bankenaufsicht bekämpfte

von Claas Tatje

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Kreise europäischer Kollegen. Immer wieder ging es bis zuletzt um die Frage: Wie bleibt Berlin stark – und Brüssel schwach

Als überzeugter Europäer ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Brüssel ein gern gesehener Gast. Auch Anfang der Woche, kurz vor dem Treffen der EU-Finanzminister, gab er sich gewohnt verantwortungsbewusst: »Wir sind verpflichtet, eine europäische Finanzaufsicht zustande zu bringen.«

Schäuble hat nur ein Problem: Nicht alle Beamten in Kanzleramt und Finanzministerium teilen seine Einschätzung. Zumindest wurde hinter den Kulissen monatelang daran gearbeitet, dass die geplante europäische Finanzaufsicht möglichst wenig Einfluss bekommt, wenn sie, wie am Dienstag von den europäischen Finanzministern bekräftigt, am 1. Januar ihre Arbeit aufnehmen soll.

Ehe Schäuble den Konsens herbeiverhandeln konnte, war ein Konflikt mit dem Europäischen Parlament eskaliert. Dort geht vielen Abgeordneten die Lobbyarbeit der Regierungen aus Berlin, London und den anderen Hauptstädten zu weit. Selbst Bankenlobbyisten fürchten mittlerweile, dass »am Ende eine Behörde ohne echte Durchgriffsrechte entsteht«. Um dies zu verhindern, vertagten die Parlamentarier eine Abstimmung über die neue Behörde in letzter Minute auf September. Sven Giegold, Parlamentarier der Grünen und Finanzexperte seiner Fraktion, kommt zu einem klaren Urteil: »Die deutsche Regierung hat eine Kompromissfindung lange behindert.«

Die geheimen Protokolle der Ratsarbeitsgruppe, in der die Mitgliedsstaaten ihre Strategie für die Gespräche mit Parlament und Kommission – das sogenannte Trilog – festzurren, halten in der Tat immer wieder deutsche Bedenken fest. Mal geht es darum, wer international agierende Finanzinstitute letztlich kontrolliert, mal um Verbote von Finanzprodukten, aber immer um die Frage: Wie bleibt Berlin stark und Brüssel schwach?

Dabei hofften viele auf den großen Wurf, als Kommissionspräsident José Manuel Barroso 2009 die Gesetzespläne vorstellte. Der Portugiese versprach: »Wir wollen den europäischen Steuerzahler vor weiteren schwarzen Tagen wie im Herbst 2008 schützen, als die Regierungen Milliarden Euro in die Rettung der Banken investieren mussten.« Nach den Ideen der Kommission sollte ein europäischer Ausschuss für Systemrisiken die Stabilität des Finanzsystems überwachen und bei sich abzeichnenden, international um sich greifenden Gefahren Frühwarnungen abgeben. Neben dieser Makroaufsicht sollen drei Aufsichtsbehörden das Handeln einzelner Institute überwachen, je eine für Banken, Versicherungen und den Wertpapierhandel. Damit diese Mikroaufsicht künftig Krisen verhindern kann, muss sie nationale Aufsichtsbehörden in die Schranken weisen können.

Soweit die Theorie, über die selbst Bankenlobbyisten urteilten: »Wir wären froh, wenn diese Vorschläge umgesetzt worden wären.« Dann aber schlugen die EU-Mitgliedsstaaten zurück. Von Anfang an klar war, dass die britische Regierung nicht mitspielen würde. Der Finanzplatz London, der in Boomzeiten 15 Prozent zur britischen Wirtschaftsleistung beisteuerte, soll nicht von Brüssel überwacht werden. Der deutsche Widerstand aber hat dann selbst gestandene Bürokraten überrascht.

Im Dezember verabschiedeten die EU-Regierungen zunächst eine Vereinbarung, die die Macht der nationalen Aufsichtsbehörden dauerhaft zementieren sollte. Entscheidungen der neuen Behörden sollen demnach ausgehebelt werden können, sobald nationale Budgets berührt sind. Das war der Anfang der Blockade.

Noch Ende Juni sträubte sich Berlin gegen viele Entscheidungen in den Gesprächen der Ratsarbeitsgruppe. Als »extrem zögerlich und konservativ« bezeichnet ein Teilnehmer den Stil der Deutschen. Der EU-Abgeordnete Udo Bullmann (SPD) spricht von politischem Versagen: »Während die Bundesregierung zu Hause den Mund voll nimmt, regiert in Brüssel der kleinste gemeinsame Nenner. Die groß angekündigten Finanzmarktreformen strebt diese Bundesregierung auf europäischer Ebene bislang jedenfalls nicht an.«

Den Ernst der Lage aber hat sie gleichwohl erkannt. Im vertraulichen Drahtbericht deutscher Diplomaten nach Berlin hieß es beispielsweise zur Sitzung vom 23. Juni. »Der Druck für die Verhandlungspartner ist hoch.« An diesem Tag wurde unter anderem über den Vorschlag des Europaparlaments gesprochen, dass die drei Aufsichtsbehörden die EU-Kommission auffordern können, bestimmte Finanzgeschäfte zu verbieten. Doch der Beamte meldete, dass mehrere Staaten, unter ihnen Deutschland, den Ratstext – und damit nicht die neuen Vorschläge des Parlaments – unterstützten. Die internationalen Finanztransaktionen sollen weiter national geregelt werden.

Im Bericht über den 23. Juni heißt es weiter: »Die Löschung von Artikel 12a-e forderten unverändert SWE, CZE, DEU und GBR.« Gemeint sind Schweden, Tschechien, Deutschland und Großbritannien, und gemeint sind Artikelzusätze, mit denen die Abgeordneten auch einen europäischen Stabilitätsfonds ins Leben rufen wollen. In diesen müssten grenzüberschreitende Finanzinstitute einzahlen, deren Pleite das Finanzsystem gefährden könnte.

Am 28. Juni berichtet die spanische Präsidentschaft, dass der Artikel 6 (3) im Trilog am 24. Juni offengeblieben sei. Auch dabei geht es um einen Vorschlag des Parlaments. Die Abgeordneten wollen, dass die europäischen Aufseher exklusive Aufsichtsrechte über Finanzinstitute mit europäischer Reichweite haben. Dazu zählen auch die Deutsche Bank oder die Commerzbank. Deutschland hingegen fürchtet um den Einfluss auf diese Institute und hielt lange am Status quo fest. Erst nach den Protesten der Parlamentarier lenkten die Mitgliedsstaaten in dieser Frage ein – wenn auch nur im Fall von »Krisensituationen«. Am Mittwoch – nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe – stand ein Trilog an.

Doch die Vielzahl an Ausnahmen ist eine Gefahr, sagt der Ökonom Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies: »Das Bewahren nationaler Souveränität kann sehr teuer werden.« Längst ist unstrittig, dass eine bessere Zusammenarbeit europäischer Aufsichtsbehörden das Ausmaß der Finanzkrise hätte begrenzen können. Die BaFin beispielsweise ahnte 2007, dass bei der irischen Tochter der Sachsen LB etwas schiefläuft, doch »was jenseits der deutschen Grenzen im Verborgenen geschieht, können wir nicht wahrnehmen«, sagte Behördenchef Jochen Sanio später.

Es waren solche Erfahrungen, die das Parlament die Notbremse ziehen ließen. Jüngst wehrten sich Abgeordnete gegen die Finanzlobby; nun stemmen sie sich gegen die Regierungen. »Der Countdown läuft«, sagt der österreichische Abgeordnete Othmar Karas (ÖVP). Bis zur nächsten Lesung bleiben nur zwei Monate.