Sven Giegold

Europa in der Krise – Grüne als Europapartei

Europa in der Krise – Grüne als die Europapartei

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir Grüne Abgeordnete im Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament haben uns in den letzten Monaten dafür eingesetzt, dass die EU die Euro-Krise mit mehr Europa beantwortet. Das bedeutet: europäische Solidarität, ein klares Bekenntnis zur europäischen Einigung und vor allem die Betonung, dass deutsche nicht von europäischen Interessen zu trennen sind. Das alles ist in der deutschen Politik leider nicht mehr selbstverständlich. Viele Politiker und Medien bemühen derzeit das Bild des „Zahlmeisters“ Deutschland in der EU. Das finden wir falsch. Nicht nur, weil wir daran glauben, dass Europa ohne Solidarität nicht funktionieren kann. Es ist auch schlicht unzutreffend und schadet den deutschen Interessen.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Verschuldung vieler Staatshaushalte in der EU gravierend erhöht. Ihr alle habt in den vergangenen Monaten verfolgt, wie Europa Griechenland rettete, einen „Euro-Rettungsschirm“ einsetzte, die EZB Staatsanleihen aufkaufte und auch Irland mit Krediten beistand. Unsere Position war hier immer klar: Wir stehen hinter der Solidarität der Tat und haben für die Kredithilfen für Griechenland und Irland gestimmt.Wir finden es auch richtig, dass es den Euro-Rettungsschirm gibt, der im Notfall Euro-Staaten mit Krediten versorgt.Wir hatten aber Kritik daran, dass uns die endgültigen Verträge zum Zeitpunkt der Abstimmung noch gar nicht vorlagen und haben uns deswegen im Bundestag enthalten. Es gab auch inhaltliche Bedenken. Von Anfang an forderten wir aber auch immer eine verbindliche Koordinierung derWirtschaftspolitiken, einen wirksameren Stabilitäts- und Wachstumspakt, eine stärkere Steuerharmonisierung und die soziale Ausgestaltung der Anpassungsmaßnahmen in den Krisenstaaten.

Nur durch die Rettungsaktionen wird die EU aber nicht gerettet. Die Euro-Krise ist durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ausgelöst, aber nicht allein verursacht. Die EU muss sich jetzt den einigen Geburtsfehlern der Wirtschafts- und Währungsunion stellen. Die Lösung wird nur in „mehr Integration“ liegen.

Als der Euro in den 90er Jahren beschlossen wurde, konnten sich die Mitgliedstaaten nicht durchringen, der EU auch mehr Kompetenzen in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik zu geben. Das Ergebnis? Die Wirtschafts- und Staatshaushaltslagen sind in den Euro-Staaten immer weiter auseinandergedriftet. Während die private und öffentliche Verschuldung in einigen Ländern regelrecht explodiert ist, übten sich andere in Kostensenkungspolitik. Die schwächeren Euroländer haben keine Möglichkeit mehr, diesen Ungleichgewichten durch Abwertung zu begegnen. Für eine gemeinsame Währung mit einem gemeinsamen Leitzins ist das sehr gefährlich. Dieses Auseinanderentwickeln hat zum einen dazu geführt, dass manche Länder für die Staatsschulden immer höhere Zinsen zahlen müssen, während andere – wie Deutschland – als sicher gelten und günstige Kredite bekommen. Zum anderen haben die Staaten mit gestiegenem Kostenniveau große Schwierigkeiten, ihreWirtschaft am Laufen zu halten. Sie sind gegenüber den Niederlanden, Deutschland & co. schlicht nicht mehr wettbewerbsfähig. Daher ist es notwendig, dass sie ihr Kostenniveau senken und aus der Schuldenspirale konsequent aussteigen. Allerdings ist es politisch und ökonomisch irreal zu glauben, dass sie aus alleiniger Kraft aus diesen Problemen herauskommen können. Schon jetzt gehen die Belastungen des ärmeren Teils der Bevölkerung in Griechenland, Irland und Spanien über das erträgliche Maß hinaus. Das ökonomische oder politische Scheitern dieser Staaten zu riskieren, ist auch nicht in unserem Interesse. Denn die BürgerInnen Spaniens, Portugals, Griechenlands und Irlands sind nicht nur unsere HandelspartnerInnen, sie sind vor allem unsere MitbürgerInnen in einem gemeinsamen Europäischen Haus.

Wir sind überzeugt: Die Euro-Krise ist lösbar. Das setzt jedoch entschiedenes Handeln in den Mitgliedsländern wie in den Europäischen Institutionen voraus. Wir werden die Euro-Krise nur überwinden, wenn wir auch die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten europäischer angehen. Das heißt noch nicht, dass wir gleich einen europäischen Bundesstaat einführen. Es bedeutet aber, dass die Mitgliedstaaten sich mehr reinreden lassen müssen. Gegenseitig von Staat zu Staat und durch das Europäische Parlament und die Europäische Kommission. Europa muss gemeinsam beantworten, wie Länder mit zu hohen Staatsdefiziten ihren Haushalt sanieren und Länder mit Wettbewerbsproblemen, ihre hohen Leistungsbilanzdefizite abbauen können. Europa muss aber auch darauf drängen, dass Deutschland mit seinen hohen Leistungsbilanzüberschüssen mehr in Bildung, ökologischen Umbau und die Löhne der Schwächsten investiert. Das ist nicht nur für unsere Partner gut, sondern auch für Deutschland. Europa muss auch die Unternehmenssteuern harmonisieren. Steuerdumping hat zu schwachen Staatshaushalten geführt und zur Krise bspw. Irlands beigetragen. Und Europa muss den Stabilitäts- und Wachstumspakt so erneuern, dass künftig die gemeinsamen Regeln auch gelten und durchgesetzt werden.

Ein Teil der Lösung sind Eurobonds. Wenn wir von Eurobonds reden, dann berufen wir uns auf das besondere Modell des Brüsseler Think Tank Bruegel und des Chefs der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker. Wir sind der Meinung, dass dieses Modell nicht nur kurzfristig Staaten mit hohen Schulden hilft, Luft zu holen und zu bezahlbaren Zinsen Kredite zu bekommen. Wenn man Eurobonds richtig gestaltet, können Sie ein Weg zu Solidarität und Stabilität sein. Diese Eurobonds bedeuten, dass die Staaten weiterhin den Teil ihrer Schulden, der einen gesunden Schuldenstand übersteigt, national an den Märkten zu höheren Zinsen aufnehmen. Jedes Land hat also weiterhin einen Anreiz, seinen Haushalt solide zu führen. So – und durch ein hartes Kontrollregime – können mit Euro-Bonds die Interessen von Stabilität durch nachhaltige Haushaltspolitik durchgesetzt werden. Gleichzeitig machen Euro-Bonds aber für die Schulden, die nicht ungesund groß sind, Schluss mit überzogenen Zinslasten, die letztlich eine Umverteilung von Steuergeldern in die Hände von Privaten – seien es Investoren, Spekulanten oder Kleinanleger bedeutet. Bei richtiger Ausgestaltung können die gemeinsam begebenen Eurobonds dauerhaft besonders bedrohten Mitgliedstaaten dabei helfen, Luft zu holen, also den kurzfristigen Finanzierungsschwierigkeiten zu entgehen und ihre Refinanzierungskosten zu senken. Auch in der aktuellen Krise könnte den Ländern so geholfen werden. Dies würde die notwendige Luft schaffen für die notwendige Kraftanstrengung: denn mittelfristig sind durchgreifende nachhaltige Strukturreformen in den betroffenen Ländern unverzichtbar. Die Länder müssen sich so reformieren, dass sie tragfähige Staatsfinanzen dauerhaft umsetzen. Dieses Modell von Euro-Bonds könnte über die sogenannte Flexibilitätsklausel in die Europäischen Verträge aufgenommen werden. Es ist vereinbar mit den Bestimmungen, die sich schon heute dort finden.

Schließlich ist genau zu prüfen, ob alle Staaten in der Lage sind, ihre Schulden vollständig zurückzuzahlen. Die Schuldentragfähigkeit ist zumindest im Falle Griechenlands fragwürdig. In diesen Fällen muss es zu einer angemessenen Gläubigerbeteiligung kommen, obwohl dies ein äußerst schmerzhafter Weg ist, der neue Ansteckungsrisiken birgt. Wir wollen nicht leugnen, dass die Zinslasten für Deutschland mit der Einführung gemeinsamer Euro-Anleihen steigen können. Denn Kern des Mechanismus ist, dass alle Euro-Staaten gemeinschaftlich für die Bonds haften und somit die wirtschaftlich schwachen Länder von der guten Bonität Deutschlands und anderer profitieren. Allerdings ist die ohne Angabe von Quellen durch die FAZ veröffentlichte Zahl von jährlich 17 Mrd. € nicht nachvollziehbar und vermutlich weit übertrieben. Merkel suggeriert den Menschen, dass die Beilegung der Krise für Deutschland zum Nulltarif zu haben wäre. Das ist unredlich. Denn alle Optionen kosten Geld und bringen Unsicherheiten. Die Euro-Bonds sind aber eine Variante, Risiken und Kosten überschaubar zu halten.

Viele von Euch hatten in den letzten Jahren zu Recht den Eindruck, dass die EU zu viel „Wirtschaft“ sei und sich zu wenig um ihr soziales Gesicht kümmere. Das finden wir auch und haben uns immer im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag für das soziale Europa engagiert. Die wichtigen Debatten über eine „Wirtschaftsregierung“ und die Euro-Rettung werden bei uns dazu führen, dass wir in Fragen des sozialen Europa – Von der Arbeitszeitrichtlinie, über den Mindestlohn bis hin zur Entsenderichtline – noch mehr kämpfen werden.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir hoffen, dass Ihr seht, dass wir aus guten Gründen Europapartei sind. Bei allen Fragen, die in den nächsten Monaten auf uns zukommen werden, wollen wir die guten Gründe und unsere Idee eines geeinten Europas stets in den Vordergrund stellen. Wir hoffen, dass ihr uns dabei helft. Bei allen Fragen die kommen, werden wir zudem immer die Rechte der Parlamente und die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen durch die Menschen anmahnen. Mehr Europa wird nur klappen, wenn dies demokratisch kontrollierte Politik bedeutet.

Manuel Sarrazin, Gerhard Schick, Alexander Bonde, Reinhard Bütikofer und Sven Giegold

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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