Sven Giegold

Spiegel online: Schwacher Stesstest – Triumph der Geldlobby

Schwacher Stresstest

Triumph der Geldlobby

Von Hans-Jürgen Schlamp, Brüssel

Der Stresstest ist gelaufen, doch über den wahren Zustand der Banken verrät er wenig. Europapolitiker drängen nun auf eine echte Regulierung der Finanzbranche – nur so ließen sich künftige Krisen verhindern. Doch die Geldlobby ist extrem mächtig.

Europas Banken haben, zum größten Teil jedenfalls, einen Test bestanden, den sie weitgehend selbst geschrieben haben. 91 Kreditinstitute kamen unter die Lupe, sieben wurden als unterkapitalisiert ausgesondert: fünf spanische Sparkassen, eine griechische Bank und aus Deutschland die längst als komatös bekannte, am staatlichen Not-Tropf hängende Hypo Real Estate (HRE).

Heißt das, alle übrigen sind in guter Verfassung? Ist die Krise nun vorbei? Können die wirtschafts- und finanzpolitischen Instanzen Europas künftige Finanzkrisen verhindern? Haben sie wenigstens erfahren, ob die Hunderte von Milliarden Euro Steuergeld gut angelegt sind, die sie den Hasardeuren auf den Finanzmärkten zuwerfen mussten, damit die mit ihrer Zockerei nicht ganze Volkswirtschaften umlegen? Sind die Manager der Geldinstitute vorsichtiger geworden? Ist das berüchtigte „systemische Risiko“ durch die Vernetzung der Banken jetzt beherrschbar?

Niemand kann das sagen, denn das alles wurde gar nicht erst gemessen. Die Hürden wurden so tief gehängt, dass der Finanzwissenschaftler Wolfgang Gerke spottete, man habe „Beruhigungspillen in den Markt gegeben“.

Nicht nur die Banken, auch die Politik wollte auf jeden Fall ein positives Ergebnis – und das hat sie ja nun auch bekommen. „Ein positives Signal“ vernahm Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Der Test zeige, „dass der europäische Bankensektor in der Lage ist, auch künftig erhebliche Belastungen zu verkraften“. Auch die EU-Kommission in Brüssel jubelte, der Test belege „die Stabilität des europäischen Banksystems“. Selbst der griechische Finanzminister, George Papaconstantinou, war überaus zufrieden: Man sehe nun, dass die griechischen Banken „auch mit den extremen Bedingungen eines Stresstests“ zurecht kämen.

„Wer glaubt, alles sei in Ordnung, irrt gewaltig“

Andere, etwa Finanzpolitiker im Europäischen Parlament, sehen das weniger rosig. „Bestenfalls als Einstieg in eine bessere Analyse der Vorgänge in und zwischen den Banken“, mag Udo Bullmann, SPD-Finanzexperte im Europäischen Parlament, den Test einordnen. „Wer jetzt glaubt, alles sei in Ordnung, so Bullmann, „der irrt gewaltig“. Test-Spektakel hin oder her: Was fehlt, seien gesetzliche Maßnahmen, um die Bankgeschäfte an mehr Eigenkapital zu binden und eine einheitliche europäische Aufsicht über die Finanzbranche zu schaffen. Und vor allem, so der SPD-Fachmann, müsse die Politik dafür sorgen, „dass wir wegkommen von der Boni- und Dividendenkultur, weg von der Spekulation und stattdessen ein langfristig ausgerichteten System bauen“.

Bullmanns CSU-Kollege im EU-Parlament, Markus Ferber, hält nach dem Test zwar zumindest die deutschen Banken für „durchaus stabil“. Aber es wäre „ein absoluter Fehlschluss“, warnt der Christsoziale, sollten die Kreditinstitute sich jetzt „beruhigt zurücklehnen“. Um wirklich zukunftssicher zu sein, müssten sie ihre Kapitalausstattung noch kräftig verbessern.

Sven Giegold, der Finanzfachmann der europäischen Grünen, kann über den „sogenannten Stresstest“ nur lächeln. Zwar beschere der der Öffentlichkeit zum ersten Mal „ein größeres Maß an Transparenz“ über die Lage der ansonsten verschwiegenen Branche. Im Großen und Ganzen hätten aber vor allem die Beamten der Bankenaufsicht „Stress gehabt, kaum die Banker“. Deren Krisenverluste, die noch in ihren Büchern versteckt sind, so Giegold, seien völlig außen vor geblieben. Und der denkbare Fall eines Staatsbankrotts sei überhaupt nicht durchgespielt worden. Das Ganze sei „kein Stresstest sondern eine Freizeitübung“.

Die Pleite eines Eurolands ist nicht mehr undenkbar

Griechenland, Irland, Portugal und etliche andere Staaten stehen so tief in der Kreide, dass man sich kaum vorstellen kann, wie sie aus der Schuldenspirale je wieder herauskommen sollen. Denn je mehr von ihren Staatseinnahmen sie für die Zinsen ihrer Kredite aufbringen müssen, desto mehr Geld fehlt für Schulen, Straßenbau, Soldaten und Sozialleistungen – und desto mehr neue Schulden müssen sie machen. Eine Staatspleite in der EU ist längst nicht mehr undenkbar.

Schon fordert Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel die Vereinbarung fester Regeln für eine „geordnete Staatsinsolvenz“. Was das für den Rest der Gemeinschaft, für den Euro bedeutet, weiß niemand. Im Planspiel „Stresstest“ kam das Szenario nicht vor. 3,3 Billionen Euro müssen Europas Banken auch ohne Krise in den kommenden Jahren umschulden. Eine gewaltige, riskante Aufgabe, für die es bis heute keine besseren Regeln, keine wirksameren Kontrollen gibt als vor der Krise. Denn die meisten Finanzmarktreformen kommen nicht so recht voran. Während der kritischen Tage, als Europa am Abgrund stand, wurden noch heldenhaft Taten versprochen. Nun blockt eine mächtige Lobby alles ab.

Eine ganze Armee von Anwälten und PR-Profis schlägt sich für die Hasardeure und Spekulanten ins politische Getümmel. Sie bestürmt Parlamentarier und Beamte in Berlin und Paris genauso wie die in der EU-Zentrale in Brüssel. 22 Parlamentarier verschiedener politischer Couleur, die als Mitglieder im Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments zu den bevorzugten Zielpersonen der Geldlobby gehören, haben in einem Aufruf die Zivilgesellschaft um Hilfe gebeten: Die Dominanz der Interessenvertreter, sagen sie, sei „eine Gefahr für die Demokratie“. Jetzt werden Gegenexperten in den Gewerkschaften oder Verbraucherverbänden gesucht.

Dass dies nötig ist, zeigt die neue „Expertengruppe zu Bankfragen“, welche die Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen in der EU-Kommission beraten soll. Am 14. Juni kam die Gruppe zum ersten Mal zusammen: Von 40 Mitgliedern stammen nur vier nicht aus der Banken- und Börsenwelt.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,708241,00.html

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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