Sven Giegold

Grüne Vorschläge zur Eurokrise

Gemeinsam gegen die Krise: Für eine starke Europäische Wirtschaftsunion

Die Europäische Union steht in einer elementaren Bewährungsprobe: die Überwindung der Griechenland-, Irland- und Euro-Krise gelingt nur mit verbindlichen Schritten vorwärts zu einer starken Europäischen Wirtschaftsunion. Von Deutschlands Beitrag dazu hängt Entscheidendes ab. Die Bundesregierung aber schwankt hin und her zwischen trotziger Nein-Sagerei und egoistischem Aktivismus. Selbst gestandene Verbündete wie Luxemburgs Premier Claude Juncker stößt sie vor den Kopf. Ihre Lieblingsmethode ist die des Oktrois. Damit behindert die Bundesregierung nicht nur die Krisenbewältigung, sondern zerschlägt auch ganz allgemein unendlich viel europäisches Porzellan.

In wirtschaftlich stürmischen Zeiten benennen wir Grüne unsere Vorschläge für Europas weiteren Kurs. Wir formulieren eine gemeinschaftliche Alternative zum politischen Schlingerkurs der Bundesregierung: Europa braucht eine starke Europäische Wirtschaftsunion, die die Lehren aus der Eurokrise zieht und den gemeinsamen Markt mit gemeinsamen Ordnungsregeln und koordinierter Steuerung ergänzt.

Die Bundesregierung schlingert

Während der Griechenland-Krise vor fast einem Jahr ließ sich die Bundesregierung von wirtschaftsnationalistischen, wahltaktischen Überlegungen leiten und verlangsamte deshalb eine Unterstützung Griechenlands, was noch mehr Unruhe an den Märkten auslöste und letztlich die Kosten für die Rettung von Griechenland in die Höhe trieb. Die Kanzlerin half zwar dann zu verhindern, dass die Eurozone in der Griechenlandkrise zerbrach, aber sie agierte widersprüchlich und förderte gar die Europaverdrossenheit durch ihre Springprozession zwischen dogmatischen Ansagen und erzwungenen Kompromissen. Auch die Kosten der Irland-Krise verteuerte sie durch ihre Politik. Das ganze Jahr 2010 hindurch wuchsen bei Deutschlands europäischen Partnern die Zweifel, ob die Bundesregierung noch willens sei, den notwendigen Beitrag Deutschlands zur Überwindung der Krise zu leisten.

Seit Anfang 2011 hat die Bundesregierung ihren Kurs merklich geändert. Statt sich weiterhin kategorisch einer Europäischen Wirtschaftsregierung zu verweigern, hat sie rhetorisch beigedreht und versucht nun mit missionarischem Eifer, vermeintlich deutsche Interessen den europäischen Partnern aufzudrücken.

Als Gegenleistung zur deutschen Zustimmung zur notwendigen Ausweitung des Euro-Rettungsschirms fordert die Bundesregierung einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ im Rahmen einer Europäischen Wirtschaftsregierung. In diesem Rahmen will sie gemeinsam mit Frankreich wirtschaftspolitische Koordination in Bereichen voranbringen, für die es nationalen Regierungen bisher am politischen Willen fehlte. Dieses Vorgehen wäre begrüßenswert, wenn Form und Inhalt der Berliner Vorschläge nicht so eigensüchtig wären. Was die Form angeht, so wurde der Pakt zunächst der französischen und deutschen Presse vorgestellt statt den europäischen Partnern. So entsteht kein Vertrauen. Inhaltlich ist der Pakt auf dem deutschen Auge blind. Während Schwächen der Partnerländer hart angegangen werden, schweigt er über die Probleme in Deutschland. Während Länder mit exzessiven Lohnzuwächsen in ihre Tarifautonomie eingreifen sollen, werden Maßnahmen gegen die jahrelange Lohnzurückhaltung und das Aufwachsen eines staatlich begünstigten Niedriglohnsektors tabuisiert. Während alle Staaten auf harte Ausgabeneinschnitte verpflichtet werden sollen, fehlen effektive Maßnahmen zur effektiven Besteuerung von Kapitaleinkünften und gegen Steuerbetrug. Durch diese Einseitigkeiten behindert die Bundesregierung eine tragfähige Lösung. Wer die Partner vor den Kopf stößt, einseitige Maßnahmen vorschlägt und den Schutz der eigenen Klientel betreibt, kann nicht europäisch gestalten. Europäisch und wirtschaftspolitisch überzeugend sind nur solche Initiativen, die alle gemeinschaftsschädlichen ökonomischen Nationalismen gleichermaßen und fair in den Blick nehmen – und gegen sie angehen.

Zudem verletzt die Bundesregierung mit den Vorschlägen zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit die Rechte parlamentarischer Kontrolle des Bundestags und des Europäischen Parlaments. Die Bundesregierung hat im Zuge der Euro-Krise die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages massiv missachtet. Sie hat mehrfach gegen Artikel 23 Absatz 2 GG verstoßen und ist ihren Unterrichtungs- und Berichtspflichten nach dem EU-Beteiligungsgesetz (EUZBBG) nicht nachgekommen. So notwendig die beispiellos weitreichenden Beschlüsse zur Sicherung des Euros auch sind, eine parlamentarische Beteiligung gemäß Grundgesetz und EUZBBG ist für die Legitimation von Regierungshandeln unerlässlich. Die Euro-Rettung darf nicht mit einem innerstaatlichen Demokratiedefizit einhergehen. Für die Zukunft muss klar sein: Eine Regierung darf auch in Brüssel nicht losgelöst von parlamentarischer Mitwirkung handeln. Das EUZBBG muss angepasst und die Beteiligungsrechte des Bundestages insbesondere auf das Handeln der Bundesregierung in der Eurogruppe und im Wirtschafts – und Finanzausschuss erweitert werden.

Ebenso wenig schert sich die Bundesregierung um die Rechte des Europaparlaments. Auf Grundlage von sechs Verordnungsvorschlägen der Europäischen Kommission berät das Parlament über ganz ähnliche Themen, wie sie im „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ enthalten sind, der jedoch rein intergouvernemental bleiben soll. Die öffentlichen Verhandlungen über die Vorschläge der Kommission werden durch die Diskussionen des Rates hinter verschlossenen Türen entwertet. Zudem schlägt die Bundesregierung in ihrem Pakt vor, dass die Staats- und Regierungschefs die erforderlichen Verfahren festlegen und institutionelle Vorkehrungen treffen, um den Pakt umzusetzen. Damit wird jedoch die demokratische, europäische Gemeinschaftsmethode ausgehebelt, nach der Europaparlament und Rat auf Basis von Vorschlägen der Kommission entscheiden.

Grüne Prinzipien für eine starke Europäische Wirtschaftsunion

Solidarität und Solidität verbinden: Wir stehen für nachhaltige Haushaltspolitik. Zukünftige Generationen haben ein Recht auf gesunde öffentliche Kassen. Exzessive Schuldenstände sind überall in Europa nach unten zu korrigieren. Ohne Solidität bei den öffentlichen Finanzen gibt es keinen stabilen Euro und auch keine öffentliche Zustimmung für europäische Solidarität. Gleichzeitig gilt, dass Europa eine Solidargemeinschaft ist. Die Menschen in vielen unserer europäischen Partnerländer leiden stark durch die notwendigen wirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen. 40% Jugendarbeitslosigkeit in Spanien oder wirtschaftliche Flucht aus Lettland und Estland beantworten wir nicht mit Gleichgültigkeit oder dem Bemühen des Schreckgespensts der Transferunion. Vielmehr wissen wir, dass Europa nur gemeinsam geht. Probleme unserer Nachbarn sind daher für uns Auftrag nach europäischen Lösungen zu suchen, die die Lasten tragbar machen.

Ausgaben und Einnahmen angehen: Die notwendigen Schritte zu soliden Staatsfinanzen müssen auf der Ausgaben- wie auf der Einnahmeseite geschehen. Gerade Europa mit den großen öffentlichen Haushalten seiner Mitgliedsländer kann sich umweltschädliche Subventionen, Verschwendung bei großen Betonprojekten, hohe Verteidigungshaushalte und ineffiziente Bildungssysteme nicht leisten. Wir Grüne stehen zu einem leistungsfähigen Sozialstaat, der zum Innovationstreiber für einen Grünen New Deal wird. Dazu braucht es auch staatliche Aufgabenkritik. Genauso wenig wie Bedenkenlosigkeit bei den Ausgaben kann sich Europa Steuerwettbewerb bei den Einnahmen leisten. Die europäischen Steuerschlupflöcher und Niedrigsteuergebiete müssen ebenso konsequent geschlossen werden, wie Korrekturen auf der Ausgabenseite erfolgen.

Starke und Schwache fordern: Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte sind in der Eurozone eine Bedrohung für den Bestand der Währung. Länder mit Problemen bei der Wettbewerbsfähigkeit müssen diese konsequent angehen. Umgekehrt besteht aber auch bei Ländern wie Deutschland dringender Handlungsbedarf, die durch das Aufwachsen eines Niedriglohnsektors und mangelnde öffentliche Investitionen die Nachfrage systematisch zurückgehalten haben. Deshalb setzen wir uns für symmetrische Anpassungen ein. Länder mit Überschüssen wie Defiziten in der Leistungsbilanz müssen handeln.

Verbindlichkeit und demokratische Teilhaben garantieren: Wir Grüne stehen für die Vertiefung der europäischen Demokratie und für verbindliche europäisch beschlossene Regeln. Wo immer nach dem EU-Vertrag möglich, wollen wir die Europäische Gemeinschaftsmethode anwenden, bei der Europaparlament und Rat auf Vorschlag der Kommission gemeinsam entscheiden. Die Abwendung der Bundesregierung von der Gemeinschaftsmethode zugunsten des Klüngelns zwischen den Regierungen lehnen wir ab.

Die Schritte zur Wirtschaftsunion

Ausweitung des Rettungsschirms: Um weiteren Mitgliedsstaaten wie Portugal oder Spanien notfalls bei Liquiditätsproblemen effektiv helfen zu können und vor Spekulationsattacken zu schützen, braucht der Rettungsschirm (EFSF) kurzfristig mehr effektives Vergabekapital. Dies wäre ein klares Signal an die Märkte, dass Europa nicht bereit ist, seine Mitgliedsstaaten dem Schicksal der Spekulation zu überlassen. Außerdem müssen Gläubiger und Anteilseigner an den Kosten zur Krisenbewältigung, z. B. durch Umschuldungsklauseln („collective action clauses“) für EU-Staatsanleiheverträge  beteiligt werden können. Gleichzeitig treten wir für eine Senkung der Zinsen nahe bei den Finanzierungskosten des europäischen Fonds ein. Die Partnerländer in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfen nicht noch durch Strafzinsen unter Druck gesetzt werden. Um falsche Anreize zur Nutzung europäischer Solidarität zu vermeiden, müssen Auflagen und deren Überwachung dienen. Das gelingt derzeit bereits in Griechenland. Wir unterstützen die irische Regierung in ihrer Forderung, die Gläubiger irischer Banken an den Verlusten beteiligen zu können. Das lehnt die Europäische Union bislang ab.

Lösung der Griechischen Überschuldung: Trotz dieser Anstrengungen braucht Griechenland Unterstützung über die bisherigen Maßnahmen hinaus. Forscher des Think Tank Breugel errechneten für Griechenland, je nach Entwicklung des Wirtschaftswachstums, als finanziellen Bedarf einen primären Einnahmeüberschuss zwischen 8,4% und 14,5% des BIP, um seine Schulden innerhalb von 20 Jahren auf den Stand von 60% des Bruttoinlandsproduktes zurückzuführen. Gleichzeitig hat in den letzten 50 Jahren von den OECD Ländern nur Norwegen einen primären Haushaltsüberschuss von über 6% erzielt. Daraus folgt, dass Griechenland neben seinem Kurs der Haushaltskonsolidierung niedrigere Zinsen zur Finanzierung seiner Staatsverschuldung braucht sowie eine Umschuldung unter Beteiligung der Gläubiger notwendig ist. Denn schon jetzt sind die Folgen der Sanierungsmaßnahmen für die schwächsten Gruppen der Bevölkerung untragbar, während IWF und EU viel zu wenig auf eine effektive Beteiligung der Vermögenden an der Finanzierung der Krisenkosten drängen.

Haushalte konsequent konsolidieren, den politischen Kuhhandel beim Stabilitäts- und Wachstumspakt beenden: Volles Vertrauen in die gemeinsame Währung wird sich nur wieder einstellen, wenn die Defizite der öffentlichen Haushalte wieder in den nachhaltigen Bereich geführt werden. Dazu müssen sowohl die Defizite als auch exzessive Schuldenstände zurückgeführt werden. Das Defizitverfahren im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts hat sich dabei als nicht effektiv genug erwiesen. Vor allem ist es zu anfällig für politische Einflussnahme im Rat. Das Prinzip „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ ist kein erfolgreiches Leitmotiv für nachhaltige Haushaltspolitik. Wir unterstützen daher, dass im Defizitverfahren eine umgekehrte Rats-Mehrheit notwendig ist, um Vorschläge zu korrigieren. Um die Schuldenquote in allen Mitgliedsländern wieder unter 60% des BIP zu drücken, wird eine längere Periode notwendig sein. Wir unterstützen den Vorschlag der Kommission einer 20jährigen Anpassungszeit. Allerdings muss die Rückzahlung von Schulden Rücksicht auf den Konjunkturzyklus nehmen.

Das „Europäische Semester“ nutzen: Die Haushaltspolitik der Mitgliedsländer entsprach in der Vergangenheit regelmäßig nicht den vorher vereinbarten europäischen Zielen. Weder wurde in guten Zeiten ausreichend Verschuldung abgebaut, noch wurde genug in Bildung, Klimaschutz, Armutsbekämpfung und Forschung und Entwicklung investiert. Wir brauchen mehr Verbindlichkeit zur Einhaltung der europäisch vereinbarten Ziele und gleichzeitig eine effektive Einbindung der nationalen Parlamente und des Europaparlaments bei der Definition der Ziele und dem Beschluss der Maßnahmen. Das Europäische Semester bringt genau diese zusätzliche demokratische Beteiligung beim Beschluss nationaler Reformprogramme und deren Umsetzung in die nationalen Haushalte. Zudem koordiniert das Europäische Semester die nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken aller 27 EU-Mitgliedstaaten. So wichtig eine engere Koordinierung der Euro-Staaten ist, auch Nicht-Euro-Staaten müssen in die Koordinierung eingebunden werden. Nur so können sie auf ihrem Weg in die Euro-Zone unterstützend begleitet werden. Leider hat die Kommission den Auftakt zu diesem neuen Prozess mit einem einseitig formulierten „Jahreswachstumsbericht“ vergeigt. Er sieht statt ausgewogener Vorschläge alte marktradikale Kamellen vor, die vor allem auf die Kosten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gingen und die soziale Ungleichheit weiter verschärfen würden. Wir Grüne unterstützen das „Europäische Semester“, verlangen aber die konsequente Orientierung an den sozial-ökologischen Zielen des EU-Vertrags statt eine wirtschaftsliberale Wachstumsbesoffenheit um jeden Preis.

Verfahren gegen wirtschaftliche Ungleichgewichte in der Eurozone: Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Währung der Eurozone stellen makroökonomische Ungleichgewichte, vor allem in der Leistungsbilanz, die Mitgliedsstaaten vor großen Handlungsbedarf. Um die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten, müssen nicht nur die öffentlichen Haushalte in den Blick genommen werden. In Spanien, Portugal, Irland und Griechenland war das exzessive Wachstum der Kreditvergabe im Privatsektor und ein schneller Anstieg des Preisniveaus bei Immobilien und Löhnen, ursächlich für die tiefe Krise. Deshalb ist ein Frühwarnsystem notwendig, damit der Rat (der Finanzminister) Warnungen oder Empfehlungen abgeben kann, falls von Mitgliedsstaaten erhebliche Ungleichgewichte ausgehen. Die Indikatoren dieses Systems dürfen sich nicht auf Arbeitskosten beschränken, sondern müssen vor allem auch Merkmale wie Ressourcenproduktivität, Technologieanteil von Exporten und Entwicklung der Steuerbasis beinhalten. Bei der Aufarbeitung von bestehenden Ungleichgewichten muss Deutschland seine interne Nachfrageschwäche überwinden und damit einen Beitrag zum Problem der volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der EU leisten, wie es auch die Europäische Kommission vorschlägt.

Gemeinsame europäische Steuerpolitik: Der praktisch ungebremste Steuerwettbewerb zwischen den EU-Ländern passt genauso wenig in einen Binnenmarkt wie Zölle oder Grenzkontrollen. Europa braucht bei der Unternehmensbesteuerung eine gemeinsame, konsolidierte steuerliche Bemessungsgrundlage, damit die Steuerschieberei in Niedriglohngebiete aufhört. Die Bundesregierung muss hier ihren Widerstand gegen die Konsolidierung aufgeben. Gleichzeitig brauchen wir mittelfristig europäische Mindeststeuersätze bei der Körperschaftssteuer von 25%, damit sich der Wettbewerb um die Steuerbasis nicht noch weiter auf die Steuersätze verlagert. Irland, das gerade die Solidarität der europäischen Mitgliedstaaten erfährt, muss den Weg dahin unterstützen, insbesondere wenn es jetzt weiteres Entgegenkommen der europäischen Staaten erwartet.

Auch bei der Besteuerung privater Kapitaleinkünfte brauchen wir effektive europäische Regeln. Das europäische Prinzip des automatischen steuerlichen Informationsaustauschs ist das wirksamste Mittel gegen internationale Steuerflucht, das den Mitgliedsländern eine progressive Besteuerung von Kapitaleinkommen wieder ermöglichen würde. Diesem Anliegen erweist Bundesfinanzminister Schäuble mit seinen bilateralen Verhandlungen mit der Schweiz zum Schutz des Schweizer Bankengeheimnisses samt Steueramnestie verbunden mit niedrigen Quellensteuersätzen einen Bärendienst. Wenn Schäuble europäische Fortschritte gegen Steuerflucht gegenüber der Schweiz opfert, ermöglicht er EU-Steueroasen wie Luxemburg und Österreich ihre Blockadehaltung gegen eine gemeinsame europäische Steuerpolitik fortzusetzen. Konsequente europäische Maßnahmen gegen Steuerwettbewerb, Steuerflucht und Steuerbetrug würden allen Mitgliedsländern helfen, Steuergerechtigkeit und nachhaltige Haushaltspolitik zu realisieren.

Europäischen Bankensektor regulieren und neu ordnen: Das Europäische Bankensystem ist nach wie vor verletzlich und nicht in der Lage ohne Hilfen durch die Europäische Zentralbank zur wirtschaftlichen Erholung beizutragen. Die große Mehrheit der BürgerInnen ist zu recht entzürnt, dass die angekündigte tiefe Neuordnung des Bankensektors bislang ausgeblieben ist. Der Bankensektor hat bis heute nicht zur Finanzierung der von ihm maßgeblich verschuldeten Krisenkosten beigetragen. Stattdessen sind etliche Banken nur dank staatlicher Subventionen und Niedrigzinssätzen der EZB überlebensfähig. Trotzdem werden schon wieder Rekordvergütungen und –boni gezahlt und erhebliche Anstrengungen unternommen, um die neuen europäischen Vergütungsregeln in der Finanzindustrie auszuhebeln. Nach wie vor können Großbanken den Staat erpressen, sie im Zweifelsfalle zu retten. Die EU ist die richtige Ebene, um diese Missstände zu beenden. Im Sommer wird die Kommission ihre Vorschläge für neue Eigenkapitalanforderungen an den Bankensektor vorlegen, ebenso ist ein Vorschlag zur Abwicklung von Großbanken angekündigt. Wir Grünen wollen, dass der Bankensektor entflochten wird, um die Ansteckungsgefahr bei Bankenkrisen zu mindern. Wir setzen uns dafür ein, dass alle systemrelevanten Finanzinstitutionen verpflichtet werden, in einen europäischen Rettungsfonds einzuzahlen. Außerdem wollen wir, dass die Eigenkapitalanforderungen an Großbanken deutlich teurer werden als für kleine und mittlere Banken. Schließlich wehren wir uns dagegen, dass durch die Hintertür der EU-Finanzmarktregulierungen neue Nachteile für Genossenschaftsbanken, die regional verankerten Sparkassen und Bausparkassen eingeführt werden.

Europäischer Währungsfonds & Eurobonds: Die Ausweitung des Rettungsschirms ist keine dauerhafte Lösung. Díe EFSF/ESM-Konstruktion sollte durch einen Europäischen Währungsfonds abgelöst werden. Somit könnte die Einrichtung nach der europäischen Gemeinschaftsmethode erfolgen und das Europaparlament volle demokratische Kontrolle erlangen. Dieser Fonds sollte auch die Ausgabe von Eurobonds organisieren.

Eurobonds sind das richtige Instrument, um den Mitgliedsländern günstige Kapitalaufnahme zu ermöglichen und starke Sparanreize zu setzen. Die niedrigen Zinssätze der Papiere geben den Mitgliedsstaaten wieder mehr Luft zum haushaltspolitischen Atmen für nachhaltig wirkende Investitionen. Eine Deckelung der Eurobonds auf maximal 60% des BIP schafft Anreize zur Haushaltskonsolidierung, denn die Zinssätze für die darüberhinausgehende Verschuldung werden deutlich über dem heutigen Niveau liegen. Diese Höhe würde nicht von Anfang an für Euro-Bonds zur Verfügung stehen, sondern erst langsam in diesen Bereich wachsen. Die NutzerInnen der Eurobonds haben so einen starken Anreiz, ihren Schuldenstand wieder gegen 60% des BIP zu führen.

Europäischen Haushalt stärken: Eigene finanzielle Mittel: Wir setzen uns für eine Stärkung der Eigenmittel der EU ein. Damit wird die Handlungsfähigkeit der EU verbessert. Angesichts der ungleichen regionalen Entwicklung in der EU sowie der zunehmenden Koordinierung im gemeinsamen Wirtschaftsraum werden die Aufgaben des europäischen Haushalts jedenfalls nicht sinken. Deshalb lehnen wir die Absicht verschiedener Mitgliedstaaten ab, den EU-Haushalt zu kürzen. Wir Grüne unterstützen dagegen weitere eigene Finanzierungsquellen der EU. Dazu gehören die Einnahmen aus europäischen Energie- und Ressourcensteuern wie einer Flugverkehrsabgabe sowie eine Europäische Finanztransaktionssteuer.

Gemeinsame Finanzierungsinstrumente für einen Grünen New Deal: Wir begrüßen, dass die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Investitionsoffensive mit Projekt-Eurobonds gemacht hat. Dies ist wichtig, um Investitionen auch in den Defizitländern zu ermöglichen. Allerdings müssen die Investitionen konsequent in den Dienst einer Investitionsoffensive in Bildung, Forschung und ökologischen Umbau gestellt und die Bedingungen im Einzelnen genau geprüft werden. Zu unsinnigen Großprojekten mit zweifelhaftem Kosten-Nutzen-Verhältnis oder einer Sozialisierung privater Risiken darf es nicht kommen.

Genauso wie eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, gehören auch gemeinsame soziale Regeln zu einem europäischen Binnenmarkt. Aktuell kommt die soziale Perspektive unter die Räder. Wir wollen ein Europa, in dem niemand zurückgelassen wird, in dem alle eine Chance zum sozialen Aufstieg haben und die soziale Ungleichheit begrenzt wird. Dazu brauchen wir gemeinsame soziale Rahmenbedingungen und Mindeststandards. In der EU sollen dabei gemeinsame, aber nach Wohlstand der Länder unterschiedliche Mindesthöhen für soziale Sicherung und Mindesteinkommen gelten. Die unterschiedlichen Sozialstaatsmodelle werden so gemäß dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar mit unserem Ziel eines Sozialen Europas.

Eine breite demokratische Diskussion über eine europäische Wirtschaftsunion begründen

Die vielen Maßnahmen zur Überwindung der Finanzkrise wie auch die notwendige Vertiefung der wirtschaftspolitischen Koordination und Zusammenarbeit verlangen nach einer breiten demokratischen Diskussion. Verhandlungen auf den Gipfeltreffen des Rates und im Europaparlament allein sind nicht genug, um neues Vertrauen in die europäische Wirtschaftspolitik zu  begründen. Der neue Grad der  Vertiefung des europäischen Projekts wäre unter normalen Umständen am besten über das ordentliche Vertragsänderungsverfahren zu erreichen. Für einen Europäischen Konvent bleibt jedoch aktuell nicht genügend Zeit. Denn die Euro-Krise verlangt nach schnellen Reaktionen. Trotzdem brauchen die wirtschaftspolitische Vertiefung der Europäischen Union wie auch der Eurozone eine öffentlich geführte demokratische Diskussion, wie sie in den Europäischen Verträgen vorgesehen ist. Deshalb sind wir dafür, die Maßnahmen zur Einrichtung einer starken Europäischen Wirtschaftsunion unverzüglich zu beginnen. Gleichzeitig sollte eine „Europäische Wirtschaftsversammlung“ einberufen werden, die nach der Konventsmethode arbeitet. Diese soll die konkreten Alternativen bei der Entwicklung der Wirtschaftsunion transparent werden lassen und eine öffentliche europäische Debatte darüber befördern.

Antragsteller/innen: Bundesvorstand; Sven Giegold, Rebecca Harms, Helga Trüpel, Jürgen Trittin, Gerhard Schick

Dieser Antrag wird auch unterstützt von Reinhard Bütikofer und Manuel Sarrazin.

Beschlossen vom Länderrat von Bündnis 90 / Die Grünen im März 2011 in Mainz.

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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