Sven Giegold

Ja zum ESM – Nein zum Fiskalpakt
Position der Österreichischen Grünen

Die österreichischen Grünen haben ihre Position zum Fiskalpakt und ESM in einer sehr guten und ausführlichen Übersicht dargestellt, die ich hier gerne dokumentiere. In ihrer grundsätzliche Ablehnung von Schuldenbremsen bin ich anderer Meinung, aber ansonsten teile ich ihre Position weitgehend.

Ja zum ESM – Nein zum Fiskalpakt

Zusammenfassung:

Die Grünen stimmen dem Rettungsschirm ESM zu und lehnen den Fiskalpakt ab. Warum? Der Rettungsschirm ESM ist zwar kein perfektes, aber ein geeignetes Instrument, um in Not geratenen Staaten zu helfen und Europa vor einer Verschlimmerung der Krise zu bewahren. ABER: der Rettungsschirm alleine reicht nicht. Er ist die Feuerwehr, die den Brand löscht. Er ist aber keine Brandschutz-Vorsorge, die künftige Brände verhindert. Deswegen haben wir Grüne für Maßnahmen wie eine Finanztransaktionssteuer, Europäische Anleihen, ein Bankeninsolvenzrecht und Grünen Investitionen gekämpft. Mit Erfolg. Das Grüne Europapaket wird dazu beitragen, die Ursachen der Krise zu bekämpfen und jenen einen Beitrag zur Bezahlung der Kosten der Krise abzuverlangen, die bisher verschont wurden: die Spekulanten.

Der Fiskalpakt (Stichwort: Schuldenbremsen) hingegen ist eine wirtschafts- und demokratiepolitische Fehlentscheidung. Dadurch droht ein Abwürgen der europäischen Konjunktur; zudem ist keine demokratische Kontrolle durchs Europaparlament vorgesehen. Die Grünen prüfen eine Klage beim Verfassungsgerichtshof.

 

Langfassung:

Europa ringt um seine Zukunft. Nach Griechenland  stehen auch Spanien, Zypern und Italien vor gravierenden Problemen. Schaut Europa tatenlos zu, wie diese Staaten zusammenbrechen, hätte das ungeahnte Folgen und katastrophale Auswirkungen auf alle anderen EU-Staaten, inklusive Österreich. Die Kosten dieser Katastrophe wären ein Vielfaches teurer als jene Kosten, die Europa jetzt für die Rettung von Staaten in die Hand nimmt. Es ist daher nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern auch eine Frage derwirtschaftlichen Vernunft, dass wir uns jetzt in Europa gegenseitig helfen.

Deswegen ist der europäische Rettungsschirm (ESM), der in Not geratenen EU-Staaten Hilfskredite zur Verfügung stellt, aus Sicht der Grünen prinzipiell ein sinnvolles und notwendiges Instrument zur Bewältigung der Krise, auch wenn uns nicht alles am ESM gefällt. So finden wir es z.B. nicht gut, wenn der ESM die Hilfskredite nur vergibt, wenn gleichzeitig sozial ungerechte Kürzungsprogramme in den betroffenen Staaten durchgeführt werden. Denn: Die einseitige Sparpolitik à la Angela Merkel ist gescheitert. Europa muss jetzt auch investieren, sonst droht die Gefahr, dass die EU-Staaten sich kaputtsparen.

Ein Punkt ist den Grünen besonders wichtig:  der ESM reicht nicht aus, um Europa nachhaltig aus der Krise zu führen.

Der ESM alleine macht Europa nicht krisensicher. Der Rettungsschirm ist die Feuerwehr, die den Brand löscht; der ESM ist aber keine Brandschutz-Vorsorge, die künftige Brände verhindert. Mit anderen Worten: es braucht Maßnahmen um die Ursachen der Krise zu bekämpfen und jenen einen Beitrag zur Bezahlung der Kosten der Krise abzuverlangen, die bisher verschont wurden: die Spekulanten.

Deswegen kämpfen die  Grünen für eine Finanztransaktionssteuer (FTT), also für eine Besteuerung von Finanzgeschäften, als zentrale Maßnahme zur Eindämmung der Spekulationsgeschäfte.  Dafür haben wir in den letzten Monaten gemeinsam mit den deutschen Grünen Druck gemacht. Mit Erfolg. Eine Gruppe von ca. 10 EU-Staaten wird die FTT nun einführen (EU-Mechanismus der „verstärkten Zusammenarbeit“).

Möglich geworden ist dies durch den Beschluss über den Rettungsschirm ESM. Denn SPÖ und ÖVP können diesen nicht alleine beschließen. In Österreich ist für die Verabschiedung im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, die Regierungsparteien braucht also die Zustimmung mindestens einer Oppositionspartei. FPÖ und BZÖ sind gegen alles wo Europa drauf steht, also auch gegen den ESM. Deswegen haben wir Grüne in harten Verhandlungen mit der Regierung Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen der Krise durchgesetzt

  1. Große Schritte zur Umsetzung einer Finanztransaktionssteuer
  2. Etablierung eines Konvents zur Zukunft Europas inklusive der Perspektive auf Eurobonds
  3. Grüne Investitionen in Europa
  4. Mitsprache des österreichischen Parlaments bei allen wesentlichen Entscheidungen des ESM

Bisher sind die europäischen Staats- und Regierungschefs dem Taktstock von  Merkel und Sarkozy gefolgt, unter weitgehender Ausschaltung der Parlamente. (Das zweite  Griechenlandpaket mit einem Umfang von 130 Mrd. Euro wurde etwa weder im Europäischen noch im österreichischen Parlament beschlossen). Zugleich haben Merkozy zu lange zugeschaut und nicht angemessen auf die spekulativen Angriffe gegen einzelne Mitgliedstaaten der Eurozone reagiert. Die Lasten der Finanzkrise sollten durch europaweite Kürzungsprogramme von den BürgerInnengetragen werden. Diejenigen, die die Krise verursacht haben, sollten weitgehend verschont bleiben.

Die sich nun abzeichnenden Ergebnisse bedeuten eine Kursänderung in Europa, die Dank der deutschen und österreichischen Grünen, aber auch durch den neuen französischen Präsidenten Hollande möglich wurde. Durch die Finanztransaktionssteuer wird nun auchdie  Ursache  der  Krise bekämpft. Das ist ein wichtiger Schritt.

Wir sind überzeugt: Wir  werden  nur  Erfolg  haben,  wenn  wir  in  Europa  zusammenarbeiten  und das Gemeinsame  über  das  Nationale  stellen  und  Europa  weiterentwickeln  zu  einer  echten politischen Union  auf  demokratischen,  ökologischen  und  sozialen  Grundfesten  –  das  ist  unsere Vision eines Europas der Zukunft.

 

Was haben die Grünen in den Verhandlungen mit der Regierung auf österreichischer und europäischer Ebene konkret durchgesetzt?

1)      Große Schritte zur tatsächlichen Einführung einer Finanztransaktionssteuer

Der Finanzsektor muss künftig einen fairen Beitrag zu den Kosten der Krise leisten. Wir Grüne haben uns mit wesentlichen Playern in Europa zusammengetan und glaubhafte Umsetzungsschritte zur Finanztransaktionssteuer eingefordert. Die Finanztransaktionssteuer sieht eine Besteuerung von Finanzgeschäften als zentrale Maßnahme zur Eindämmung der Spekulationsgeschäfte vor. Großbritannien und Schweden haben eine große europäische Lösung verhindert. Aber jetzt wir konnten erreichen, dass eine Koalition von willigen Staaten voran geht. Zehn EU-Länder haben sich zusammengefunden und werden die Finanztransaktionssteuer einführen. Das wurde beim Rat der Finanzminister und beim EU-Gipfel am 28./29. Juni vereinbart.

2)      Grüne Investitionen in Europa

Wenn beinahe alle EU-Länder gleichzeitig sparen, dann bedeutet das wirtschaftlichen Abschwung. Um diese Merkel’sche Kürzungspolitik (Fiskalpakt, Schuldenbremsen) zu entschärfen, haben wir gemeinsam mit europäischen Partnern die österreichische Regierung davon überzeugt, in Europa für Investitionen in nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung einzutreten. Beim EU-Gipfel am 28./29. Juni wurden diese Maßnahmen beschlossen. Beispielsweise erhält die Europäische Investitionsbank eine Verdoppelung ihres Eigenkapitals, um ein Investitionsvolumen von 180 Mrd. Euro anzustoßen.

3)      Konvent für Europa

Wir wollen ein demokratischeres Europa. Derzeit entscheiden die europäischen Staats- und Regierungschefs weitgehend ohne Einbeziehung des Europaparlaments und in vielen Staaten auch ohne Einbeziehung des jeweiligen nationalen Parlaments. Wer, wie wir, mehr Europa will, der muss auch ein Mehr an Demokratie wollen. Wir wollen daher einen europäischen Konvent zur Einführung einer handlungsfähigen und demokratisch legitimierten ökologischen, sozialen und wirtschaftspolitischen Steuerung und einer substanziellen Verbesserung der Verfasstheit Europas. Die österreichische Bundesregierung hat sich nach langen Verhandlungen jetzt erstmals zu einem solchen Konvent für Europa bekannt. Dabei sollen Vertreter aus nationalen Regierungen, der Parlamente und der europäischen Zivilgesellschaft in einem offenen und transparenten Verfahren mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Zukunft Europas entscheiden.

4)      Perspektive auf Eurobonds – Schutzschirm vor Spekulanten

Gemeinsame europäische Anleihen, so genannte Eurobonds, können Angriffe von Spekulanten auf einzelne Euro-Staaten wie Österreich verhindern. Eurobonds sind also ein Schutzschirm vor Spekulationsattacken auf Staatsanleihen. Dieser Schutzschild bedeutet auch einen Einstieg in eine vertiefte europäische Union. Beim Konvent, zu dem sich die Bundesregierung unter dem Verhandlungsdruck der Grünen nun erstmals ausdrücklich bekannt hat, werden Vertragsänderungen zur Einführung von Eurobonds zentral auf die Agenda gesetzt.

5)      Bankenregulierung und -insolvenzrecht kommt

Künftig ist Schluss damit, dass Banken nur mit Staatsgeldern gerettet werden, während gleichzeitig unsoziale Kürzungsprogramme für die Bevölkerung geschnürt werden. Ein Bankeninsolvenzrecht sowohl auf europäischer als auch auf österreichischer Ebene führt dazu, dass die Bankenaufsicht frühzeitig eingreifen kann und eine Bank auch in Insolvenz gehen kann. In diesem Fall werden die Eigentümer und Gläubiger der Banken mit zur Kasse gebeten.

6)      Private Gläubigerbeteiligung im ESM

Schon während der Phase der konkreten Textierung des ESM haben die Grünen mit der österreichischen Regierung erste Verhandlungen aufgenommen und klar gemacht, dass der Rettungsschirm unbedingt die private Gläubigerbeteiligung beinhalten muss. Diese ist nun Bestandteil des ESM-Vertrages. Das bedeutet, dass alle Staaten bei der Aufnahme von Staatsschulden Konkursklauseln in ihren Staatsanleihen aufnehmen müssen, damit klar ist, dass im Falle einer Insolvenz auch die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen. Wenn also z.B. Griechenland oder ein anderer EU-Staat in Konkurs geht, werden auch jene Investoren, die zuvor von hohen Zinsen für griechische Staatsanleihen profitiert haben, einen Beitrag leisten müssen.

7)      Mitentscheidungs- und Informationsrechte des Parlaments

Die Grünen haben für das österreichische Parlament Mitspracherechte bei wichtigen wirtschaftspolitischen europäischen Entscheidungen heraus verhandelt. Die Finanzministerin muss sich künftig vor allen relevanten Entscheidungen zum ESM (Hilfszahlungen, Aufstockung des Rettungsschirms) die Zustimmung des Parlaments holen. Damit bleibt die Budgethoheit, das wichtigste Recht jedes Parlamentes und damit seiner Bevölkerung, gewahrt. Ob das Finanzhilfen für einzelne Länder, Kapitalaufstockungen des ESM, Kapitalabrufe oder sonstige wesentliche Änderungen des ESM und seiner Instrumente betrifft: Das Parlament, und damit die Volksvertretung hat das letzte Wort. Dieser grüne Verhandlungserfolg bedeutet öffentliche Debatte und demokratische Kontrolle. Diese zusätzlichen Mitspracherechte sind, abgesehen von Deutschland, einzigartig in der EU.

 

Hier findet ihr ein  FAQ zum Rettungsschirm ESM