Sven Giegold

Deutschland spart sich auf Kosten der Krisenländer reich

Dem deutschen Staat geht es finanzpolitisch blendend. Das wird aus dem Haushaltsplan 2014 deutlich, den das Kabinett heute beschließt. Bis auf eine geringe Neuverschuldung von 6,2 Mrd. Euro halten sich Einnahmen und Ausgaben die Waage. Im Prinzip sind das erfreuliche Nachrichten, doch lohnt sich ein Blick auf Details: Der im Haushalt 2014 vorgesehene Schuldendienst beläuft sich nur noch auf 29 Milliarden Euro. 2008 musste der Bund noch über 40 Milliarden Euro Zinskosten hinnehmen.

Seit dem Krisenausbruch 2008 spart der Bund Milliarden durch die gesunkenen Zinskosten. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln schätzt die Summe der Ersparnisse auf rund 88 Mrd. Euro seit 2008. Gemessen am BIP des letzten Jahres entspricht das ca 3,3% der Wirtschaftsleistung. 88 Mrd. Euro Ersparnisse klingen zwar gut, doch handelt es sich hier um einen Geldbetrag, der auf dem Leiden anderer beruht.

Grund für die stark gefallenen Zinskosten ist die enorme Kapitalflucht aus den krisengebeutelten Ländern der Peripherie Europas. Seit ca. 2008 suchen Anleger sichere Häfen und das kommt Deutschland entgegen. Die lockere Geldpolitik der EZB verstärkt diesen Effekt zusätzlich. In den Krisenländern kommt von den niedrigen Zinsen wenig an. Die überschüssige Marktliquidität fließt nach Deutschland, wo sich der Bund zeitweise gar zu negativen Zinsen refinanzieren konnte.

Strukturell hat sich in Deutschland nach dem Krisenausbruch kaum etwas verändert. Die Mär vom achso sicheren Bankensektor ist lediglich Augenwischerei. Auch ist die Rede von der „boomenden“ Wirtschaft übertrieben, da Deutschland zwar besser als andere europäische Länder dasteht, allerdings auch schwer mit der Rezession der Eurozone zu kämpfen hat.

Die gesunkenen Refinanzierungskosten sind daher das Resultat der relativ betrachtet höheren Stabilität in Zeiten extrem hoher Marktliquidität. Mit dem Ausbruch der Unsicherheit auf den Finanzmärkten ist Deutschland über Nacht vom Schuldensünder zum Einäugigen unter Blinden geworden – eine Metamorphose, die alleine dem Bund fast 90 Mrd. Euro einbringt.

Zu diesen 90 Mrd. Euro müssen noch die Wohlstandsgewinne für Deutschland gerechnet werden, die sich durch die günstigen Bedingungen für die anderen öffentlichen Haushalte und für die Realwirtschaft ergeben. Die lockere Geldpolitik und Deutschlands Status eines sicheren Hafens in der Krise sorgen für günstige Kreditkonditionen auch Länder und Gemeinden sowie für deutsche Unternehmen. Davon profitiert auch die traditionell sehr starke Exportindustrie.

Hinzu kommen Gewinne durch den niedrigen Außenwert des Euro. Die Bertelsmann Stiftung errechnete im April, dass die DM heute um 23% teurer wäre als der Euro. Ein weiterer Umstand, der die deutsche Exportwirtschaft stärkt. In einer Szenariorechnung schätzt die Bertelsmann Stiftung, dass sich aus dieser Unterbewertung im Zeitraum von 2012 bis 2025 Wohlfahrtsgewinne in Höhe von 1,2 Billionen Euro ergeben werden. Den deutschen Konsolidierungsbemühungen kommen diese günstigen Bedingungen für die deutsche Realwirtschaft zusätzlich entgegen. Steigende Steuereinnahmen und sinkende Sozialleistungen für Arbeitslose entlasten den Haushalt.

Und Deutschland profitiert kräftig weiter. Aufgrund der Panikreaktion fließen Unmengen ans Kapital ins Land. Hätte man noch die DM, dann würde diese aufgrund der Panik deutlich massiver als 23% aufwerten. Die 1,2 Billionen Euro sind damit ein konservatives Szenario, da Effekte der Unsicherheit und Panik in den Finanzmärkten in der Rechnung nicht berücksichtigt werden. Heute profitiert man also von den Vorteilen von Kapitalzuflüssen ohne die Kosten tragen zu müssen. Die werden getragen von den Ländern, die schon am Boden liegen, und keine Möglichkeit zur Abwertung haben.

Wenn heute der Haushalt beschlossen wird, kann man sich wieder darüber freuen, dass man gut gewirtschaftet hat und im Gegensatz zu anderen Staaten Europas kaum Schulden aufnehmen musste. Man darf sich aber nicht dem Irrglauben ergeben, dies sei der besonders guten Haushalts- und Wirtschaftspolitik geschuldet. Die Umstände einer anhaltenden Eurozonenkrise machen Deutschland reich.

Vor diesem Hintergrund ist die Haltung der deutschen Regierung zu Solidarmaßnahmen mit Krisenstaaten beschämend. Deutschland hat zwar Risiken übernommen, damit aber vornehmlich dem Finanzsektor geholfen. Dabei sehen sich Krisenstaaten anderen Problemen gegenübergestellt: sie befinden sich in tiefen Wirtschaftskrisen und müssen Massenarbeitslosigkeit bekämpfen. Bei hohen Refinanzierungskosten müssen dort die Haushalte gekürzt werden, während die Anzahl von Sozialleistungsempfängern anwächst. Investitionen, die dem sozialen Elend entgegenwirken könnten und nachhaltiges Wachstum fördern würden, wurden von der deutschen Regierung bislang nicht gefördert. Im Gegenteil: Höchstwahrscheinlich wird das EU Budget zum ersten Mal in der Geschichte für das Folgejahr gekürzt, und zwar vor allem auf deutschen Druck. Nach Aufrufen, die Krisenländer bräuchten mehr Wachstum und müssten die Arbeitslosigkeit effektiver bekämpfen, wurden Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien, Ausbildungsfinanzierung und viele weitere Posten des Budgets gekürzt. Die Agrarsubventionen wurden relativ betrachtet weiter gestärkt. Deutschland hat sich in den Verhandlungen als die proeuropäische schwäbische Hausfrau positioniert. Doch sparen ist leicht, wenn man wie Deutschland das Geld für die Schuldenaufnahme geschenkt bekommt. Doch anstatt zurückzugeben, was man durch das Leid der anderen bekommt, predigt man lieber Enthaltsamkeit. Für das europäische Projekt, das auf Gleichheit und Solidarität fußt, ist diese opportunistische Haltung nichts anderes als ein Schlag ins Gesicht!

 

(1) Hier die Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zu den Zinsersparnissen:

(in Mrd. €)

Zuteilungsvolumen im jeweiligen Jahr (a)

Gesamte Zinslast bei tatsächlicher Durchschnittrendite der Neuemissionen zum jeweiligen Emissionszeitpunkt

Zinslast bei hypothetischer Durschnittsrendite (b)

Zinsersparnis (= hypothetische Zinslast – tatsächliche Zinslast)

2008 117,0 32,2
2009 127,6 24,5 33,7 9,2
2010 171,6 29,4 48,8 19,4
2011 154,2 24,9 41,4 16,4
2012 149,5 15,8 45,1 29,3
2013 69,6 6,2 19,9 13,8
2009-2012 603,0 94,8 169,0 74,3
2009-2013 672,6 100,8 188,9 88,1

(a) Bundesschatzanweisungen (2J), Bundesobligationen (5J) und Bundesanleihen (10J & 30J)

(b) Durchschnittlicher Zinssatz von 2000-2008; für 2-jährige Schatzanweisungen 3,41%, für 5-jährige Bundesobligationen 3,82%, für 10-jährige Bundesanleihen 4,26% und für 30-jährige Bundesanleihen 4,71%)

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Ursprungsdaten: Auktionsergebnisse: Finanzagentur der Bundesrepublik Deutschland GmbH / Durchschnittliche Zinssätze für 2000-2008: Bloomberg

(2) Hier der Link zur Studie der Bertelsmann Stiftung.