Sven Giegold

Interview in der Börsenzeitung: „Die Aufsicht muss differenzieren“

Börsen-Zeitung, 9.1.2013

„Die Aufsicht muss differenzieren“

Der Parlaments-Berichterstatter über Knackpunkte der Schlussverhandlungen mit Rat und EU-Kommission

Herr Giegold, verstehen Sie die Sorge von Teilen der deutschen Kreditwirtschaft, dass die künftige europäische Bankenaufsicht alle Institute über einen Kamm scheren wird?

Die Befürchtung, man könnte durch eine Europäisierung Banken dazu drängen, einander möglichst ähnlich zu werden, ist berechtigt. Gerade deshalb ist es ja so wichtig, dass das Europaparlament auf Initiative der Grünen im Mandat für die Bankenaufsicht eine Verpflichtung zum Schutz kleiner Institute formuliert. Europas Aufsicht muss differenzieren. Ich werde alles dafür tun, dass sich dies auch im letztlich beschlossenen Test finden wird.

An welchen Kriterien soll sich die Differenzierung orientieren?

Es geht um Größe als auch um Risikoprofil. Der Auftrag lautet: Behandelt Verschiedenes auch verschieden! Das hat die EBA in der Vergangenheit ja nicht immer gemacht. So wurde versucht, kleinen Instituten bei den Berichtspflichten ähnliche Vorgaben zu machen wie Großbanken.

Was spricht dagegen?

Das hätte in Deutschland dazu geführt, dass beispielsweise auch Sparkassen eine parallele Buchführung nach IFRS hätten durchführen müssen. Das ist natürlich absurd. Interventionen, auch des Europäischen Parlaments, haben das verhindert.

Verstehen Sie angesichts solcher Beispiele, dass viele Banken eine EU-Aufsicht für sich ablehnen?

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man sich zur Europäisierung von Regulierung positionieren kann. Man kann sagen: Wir möchten das alles nicht und wollen außen vor bleiben. Unsere EU-Partner werden jedoch nicht akzeptieren, dass zwei Drittel des Bankenmarkts im größten Mitgliedsland ausgenommen werden. Man kann aber auch sagen: Wir in Deutschland haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit unserem dreigliedrigen Bankensystem. Also sorgen wir dafür, dass diese Struktur in der europäischen Rechtsetzung berücksichtigt wird.

Ist das denn überhaupt auf europäischer Ebene möglich, etwa eine Unterscheidung von Konzern und Verbund?

Na sicher ist das möglich. Wir stehen bei der EU-Kapitalrichtlinie CRD IV vor einer Kompromisslösung, wo genau diese Strukturen berücksichtigt werden – auch weil sich das EU-Parlament fraktionsübergreifend für diese Differenzierung  eingesetzt hat. Zwar hat der EBA-Chef Andrea Enria einen Brief geschrieben, in dem er versucht hat, die Parlamentsposition wieder zurückzudrehen. Aber das wird ihm nicht gelingen. Die Frage, ob Sparkassen und Genossenschaftsbanken als dezentrale Akteure ihr Modell fortentwickeln können, wird nicht von Herrn Enria entschieden, sondern demokratisch.

Wäre es nicht einfacher, wenn sich die künftige EU-Aufsicht auf die großen Banken beschränken würde?

Nein. Die Erfahrungen zeigen, dass auch viele kleinere Banken Finanzkrisen ausgelöst haben. Folglich kann es nicht sein, dass sie per se ausgenommen werden. Man kann sicherlich dafür sorgen, dass die tägliche Aufsichtspraxis dezentral ist. Aber man muss der EZB zugestehen, dann zu intervenieren, falls etwas nicht richtig läuft, wie wir es etwa in Spanien erlebt haben.

Einige Banken befürchten, dass es komplizierter wird, sich auf dem Rechtsweg gegen Aufsichtsentscheidungen zu wehren – und dass es ohnehin generell unübersichtlicher wird.

Wir haben immer ein Problem, wenn eine europäische Behörde nationales Recht anwenden und durchsetzen muss. Hier erweist es sich als Schwierigkeit,  dass wir so viel über EU-Richtlinien regeln, die noch national umgesetzt werden müssen. Auch wenn das in Deutschland viele anders sehen: Ein Binnenmarkt mit 27 Umsetzungen und 27 unterschiedlichen Verwaltungsverfahren wird letztlich stets zu Problemen führen.

Die Europäisierung schafft also Probleme?

Es ist noch viel problematischer, dass wir auch aufgrund der Konkurrenz der nationalen Aufsichtsbehörden um die möglichst attraktivsten Standortkonditionen in eine riesige Finanzkrise hineingelaufen sind.

Aktuell erleben wir eine ganz andere Konkurrenz zwischen nationalen Aufsichtsbehörden – und einen Streit über die Frage, welche Auflagen die deutsche Aufsicht einer deutschen Tochter einer italienischen Bankengruppe machen darf?

Das betrifft ja nicht nur die italienische Unicredit. Sie ist nur die einzige Bank, die laut darüber spricht. Wir haben auch andere Banken, die Probleme dieser Art haben, die sich allerdings nicht genauso laut beschweren.

Und wie lassen sich diese Probleme lösen?

Europäische Kapitalverkehrsfreiheit und gleichzeitig nationale Liquiditätsstandards, das passt nicht zusammen. Ich hoffe, dass diese Probleme durch die Europäisierung der Aufsicht verschwinden werden. Und zwar dann, wenn wir außerdem zu einem europäischen Restrukturierungs- und Haftungsregime  kommen. Wir brauchen einen europäischen Banken-Restrukturierungsfonds, und es muss klar sein, dass Großbanken und vor allem ihre Gläubiger für ihre Restrukturierung selbst bezahlen. Denn wenn es die Befürchtung gar nicht mehr gibt, dass Deutschland in eine Sonderhaftung gerät, muss die deutsche Aufsicht auch nicht mehr den Kapitalverkehr beschränken.

Noch ein letzter Vorbehalt gegen die EU-Bankenaufsicht: Kann unter dem Dach der EZB die Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsicht gelingen?

Klar, in Deutschland gibt es übergreifend große Skepsis, beides im gleichen Haus zu haben. Aber: Wenn wir auf europäischer Ebene aus guten Gründen sagen, dass wir für eine europäische Finanzaufsicht die starke Glaubwürdigkeit der EZB brauchen, dann ist Europa – wie so oft – Kompromiss. Und das bedeutet: Die Aufsicht landet unter dem Dach der EZB. Für die wichtigsten juristischen Probleme haben wir inzwischen Lösungen gefunden.

Was ist für das EU-Parlament in den jetzt startenden Schlussverhandlungen wichtig?

Für mich ist entscheidend, dass wir gegenüber der EZB als EU-Parlament und  nationale Parlamente effektive Kontrollrechte bekommen. Die Messe ist noch nicht gesungen. Der Rat hat das noch nicht zugestanden. Das Parlament fordert den Vorsitzenden der Aufsichtsbehörde zu benennen und die Möglichkeit von Untersuchungsausschüssen. Ich halte sie für entscheidend. Denn erst wenn man Zugang zu Akten bekommt, findet man heraus, warum Aufsicht versagt hat. Durch Fragen im Ausschuss klärt man wenig auf.

Unterm Strich?

… singe ich zwar keine Lobeshymnen auf die Grundstruktur – sie ist eben stark vorgegeben von europäischen Kompromissen. Aber alles in allem ist die Europäisierung der Aufsicht gerade auch in deutschem Interesse. Wir zahlen derzeit mit großen Haftungsbeständen für die Fehlentwicklungen der Aufsicht. Wenn wir eine strengere, europäische Aufsicht bekommen, dann bedeutet das eine Entlastung von Haftungsrisiken in großem Umfang. Deshalb haben wir guten Grund, zu einigen Kompromissen ja zu sagen.

Belege:

Börsenzeitung, 9.1.2013, Seite 1

Börsenzeitung, 9.1.2013, Seite 3

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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