Sven Giegold

Europäisches Semester: EU-Mitgliedsländer blamieren sich bei Koordinierung der Wirtschaftspolitik

In diesem Durchgang des Europäischen Semesters (1) haben sich EU-Kommission und Mitgliedsstaaten nicht mit Ruhm bekleckert. Eigentlich ist es Aufgabe der Kommission zu prüfen, welche Reformempfehlungen die Mitgliedsstaaten umgesetzt haben. Die Brüsseler Behörde versteckt die Bewertung in 28 Länderberichten. Ein übersichtlicher Vergleich findet nicht statt, um den Mitgliedsländern die peinlichen Ergebnisse zu ersparen. Die Kommission schreckt davor zurück, den Mitgliedsstaaten klar und deutlich die Meinung zu sagen. Die verfehlt damit ihren Auftrag als Hüterin der Verträge, die Umsetzung des Europäischen Semesters ernsthaft zu kontrollieren. Juncker, Dombrovskis und Moscovici üben sich in Arbeitsverweigerung.

In Kleinarbeit habe ich mit meinen Mitarbeitern die Länderberichte durchleuchtet. Herausgekommen ist eine Statistik, die Licht in den Dschungel aus Empfehlungen bringt – mit erschreckendem Ergebnis: Von 528 länderspezifischen Empfehlungen für Reformen haben die Mitgliedsstaaten nur 7 (!) vollständig umgesetzt. Damit haben es die Mitgliedsstaaten fertig gebracht, selbst das grausige Ergebnis des letzten Jahres noch zu unterbieten. Wenn die Regierungen der Mitgliedsstaaten auch zukünftig so stiefmütterlich mit den Reformempfehlungen umgehen, rutscht das Europäische Semester bald in die Bedeutungslosigkeit ab und Europa sich lächerlich.

Auch Deutschland verhält sich keineswegs vorbildlich und trägt damit zum Elend des Semesters bei. Sechs Empfehlungen aus Brüssel hat die Merkel-Regierung komplett ignoriert. Bei neun weiteren Reformen hat die Bundesregierung nur Stückwerk zu Stande gebracht. Vollständig umgesetzt, haben Sozial- und Christdemokraten nichts. Bereits mehrfach hat die EU-Kommission angemahnt, dass insbesondere in der Steuerpolitik Korrekturbedarf herrscht. Denn gerade Einkommensschwache bezahlen in der Bundesrepublik überdurchschnittlich hohe Abgaben. Dieser Zustand ist nicht nur sozial inakzeptabel, sondern auch ökonomisch unklug: Die Kommission selbst attestiert, dass gerade die hohen Abgaben für Einkommensschwache den Konsum und somit auch das Wachstum dämpfen.

Doch eine Kehrtwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Das mit der französischen Regierung erarbeitete Konzept zur Weiterentwicklung der Eurozone sieht vor, dem Europäischen Semester durch verwässerte Empfehlungen nun auch offiziell die Zähne zu ziehen. Statt die Empfehlungen ernst zu nehmen, sollen sie einfach abgeschafft werden. Statt konkreter Empfehlungen soll es nur noch Ziele geben. Damit das Europäische Semester wieder auf die Beine kommt, müssen Mitgliedsstaaten und Kommission die notwendige wirtschaftspolitische Kooperation endlich ernst nehmen.”

 

Member statesProgress on implementation of the country specific recommendations (CSRs) 2013 (based on Commission staff documents from June 2014)
Substantial progress (green category)Full progress (green category)Some progress (yellow progress)Limited Progress (red category)No progress (red category)Sum of reforms
BE347
BG1427
CZ1517
DK1113
DE224
EE1315
IE*------
EL*------
ES189
FR66
HR**------
IT156
CY*------
LV1517
LT1326
LU156
HU257
MT325
NL1214
AT617
PL1427
PT*------
RO1258
SL1269
SK246
FI235
SE1124
UK1326
SUM12165594141
* To avoid problems of duplication with the Economic Adjustment Programme there are no additional recommendations for this member state
** Croatia (HR) joined the EU in July 2013, therefore no recommendations for this members have been issued in 2013 and likewise there is no CSR evaluation

 

Informationen zur Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen im Jahr 2014 finden Sie unter: https://sven-giegold.de/2014/mitgliedstaaten-schieben-das-europaeische-semester-in-richtung-abstellgleis/

 

(1) Das Europäische Semester ist aus der gemeinsamen Währung erwachsen. Unter dem Dach der gemeinsamen Währung ist eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, bspw. zu Steuern notwendig. Zu Beginn des Prozesses einigen sich EU-Kommission und Staats- und Regierungschefs auf Prioritäten für Reformen. Die darauf basierenden Empfehlungen der Kommission werden anschließend von den Mitgliedsstaaten beschlossen. Umso peinlicher, dass sie bei Umsetzung Arbeitsverweigerung betreiben.

P.S. Die NGO Green Budget Europe hat bei einer Analyse der Empfehlungen zudem festgestellt, dass praktisch alle Empfehlungen mit Umweltbezug wie der Abbau umweltschädlicher Subventionen oder die Senkung von Steuern auf Arbeit durch höhere Umweltsteuern von der Kommission von 2014 auf 2015 schlicht gestrichen wurden: http://www.rtcc.org/2015/05/14/european-commission-drops-demand-to-cut-fossil-fuel-subsidies/

 

 

 

 

Rubrik: Unkategorisiert, Wirtschaft & Währung

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