Sven Giegold

Parlamentsausschuss gegen Steuerdumping braucht am Montag die Verlängerung: Viele Fragen ungeklärt

Die Aufklärung im TAXE-Sonderausschuss gegen Steuerdumping spitzt sich zu. Neue Enthüllungen nach der Anhörung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Ausschuss werfen neue Fragen auf und stellen seine Glaubwürdigkeit weiter in Frage. Er muss entsprechende Rückfragen bei einer zweiten Anhörung im TAXE-Ausschuss beantworten. Der Zugang zu zentralen Dokumenten für die Aufklärung des LuxLeaks-Skandals fehlt weiterhin. Mitgliedsländer, Rat der EU und EU-Kommission haben die Dokumente monatelang verweigert. Unter restriktiven Bedingungen soll nun endlich Zugang gewährt werden. Auf Basis der hoffentlich bald gewonnenen Erkenntnisse muss der Ausschuss auch weitere Zeugen hören und all das in den Endbericht des Ausschusses einfließen lassen.

Das Parlament muss sich jetzt entscheiden, ob es seine Aufklärung ernst meint oder sich zum Sekretariat der EU-Kommission machen lässt. Wir Grünen wollen ein starkes Parlament, das seine Rechte wahrnimmt, statt vor fragwürdigen Praktiken von Großunternehmen und Mitgliedsländern zu kuschen.

 

Nächsten Montag könnte der TAXE-Ausschuss seine Verlängerung beantragen

Am Montagabend, 5. Oktober, treffen sich die Koordinatoren (Obleute) aller Fraktionen des TAXE-Sonderausschusses in Straßburg, an der ich für die Grünen teilnehmen werde. Bei dieser Sitzung können sie die Weichen für eine Verlängerung des Mandats des Ausschusses stellen. Eine Verlängerung des Mandats ist notwendig, denn noch immer ist ungeklärt, wer die Verantwortung für die jahrzehntelange Klüngelei zwischen Konzernen und Staaten zur Steuervermeidung trägt.

Möglich wäre eine Mandatsverlängerung um bis zu einem Jahr. Der voliegende Berichtsentwurf kann im normalen Verfahren beraten und zügig als Zwischenbericht verabschiedet werden. Unser Grüner Wunsch auf Verlängerung wird von den Liberalen und den Linken unterstützt. Konservative/Christdemokraten und Rechtskonservative sind dagegen und schützen damit die Verantwortlichen in den Mitgliedsländern und der EU-Kommission, die den aggressiven Steuerwettbewerb zugelassen haben. Wir warten auf eine Festlegung der Sozialdemokraten. Mit ihnen wäre eine Mehrheit gegen die Konservativen möglich. Falls die Koordinatoren für Verlängerung plädieren, muss ein solcher Antrag zuerst in der Konferenz der Präsidenten beschlossen und dann im Plenum bestätigt werden.

 

Juncker wusste seit 1997 Bescheid und hat im Parlamentsausschuss die Unwahrheit gesagt

In seiner Anhörung vor dem TAXE-Sonderausschuss am 17. September verwickelte sich der aktuelle EU-Kommissionspräsident und frühere Finanz- und Premierminister Luxemburgs Juncker in Widersprüche, die er bis jetzt noch nicht überzeugend ausräumen konnte. 1997, als Juncker Luxemburgs Premierminister war, verfasste der spätere Wirtschaftsminister Jeannot Krecké einen Bericht zum Thema Steuervermeidung in Luxemburg. In der damals veröffentlichten Version fehlte eine Seite, auf der es um den Umgang der Steuerbehörden Luxemburgs mit Steuervorbescheiden geht. Gegenüber dem Ausschuss erklärte Juncker am 17. September, er hätte von der Existenz der fraglichen Seite erst kürzlich erfahren. Krecké dagegen behauptet, er habe Juncker die Seite schon 1997 gegeben. Auf Druck des Linken-Abgeordneten Fabio De Masi und anderer veröffentlichte Juncker die Seite nun am Mittwoch dieser Woche.

Die fehlende Seite beweist, dass Juncker 1997 als Finanzminister auf Probleme der Luxemburger Steuerdeals hingewiesen wurde. Er wurde von Krecké nachdrücklich aufgefordert, die Praxis seiner Steuerbehörde unter die Lupe zu nehmen. In den folgenden Jahren ist die Zahl der Luxemburger Steuerdeals mit Konzernen explodiert. In der Anhörung des Ausschusses hat sich Juncker bezüglich des Krecké-Berichts am Rande der Wahrheit bewegt. Mehr noch: Juncker hat einfach jede Verantwortung für die Luxemburger Steueroase von sich gewiesen. Nach der Veröffentlichung der fehlenden Seite muss Juncker nun erklären, wieso er die Warnung Kreckés komplett ignoriert hat und dabei zusah, wie Luxemburg zur Mega-Steueroase wurde.

Den Brief Junckers an de Masi kann man hier herunterladen:

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2015/09/img-930104006-0001.pdf

Den offiziellen Krecké-Bericht von 1997 ohne die brisante Seite gibt es hier:

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2015/03/Report-Kreck%C3%A9.pdf

Die von Juncker inzwischen veröffentlichte Seite des Krecké-Berichts findet man hier:

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2015/09/img-930103251-0001.pdf

 

Entscheidende Dokumente fehlen weiterhin

Die nun aufgetauchte Seite des Krecké-Berichts ist nur eine von 1.000 Seiten, zu denen der Ausschuss Zugang bekommen muss, um zu klären, wer die Verantwortung für die jahrzehntelangen schädlichen Steuerpraktiken trägt. Dem Sonderausschuss fehlen noch immer weitere entscheidende Dokumente, insbesondere der sogenannten ‘Code of Conduct Group on Business Taxation’. In dieser Gruppe besprechen Vertreter der Mitgliedstaaten die Vereinbarkeit steuerlicher Maßnahmen mit dem im Dezember 1997 angenommenen “Verhaltenskodex für Unternehmensbesteuerung”. Deren Sitzungsprotokolle sind notwendig, um zu klären, welche Staaten selbst Steuerdumping betrieben haben und wer tatenlos zugesehen hat. Doch sowohl die EU-Kommission als auch der Rat und die Mitgliedstaaten weigern sich, dem Sonderausschuss die Dokumente unter vertretbaren Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Steuer-Kommissar Pierre Moscovici hatte zuletzt angeboten, dass einige wenige Abgeordnete die Dokumente unter TTIP-ähnlichen Bedingungen in einem Leseraum einsehen dürfen. Ohne sich Notizen machen zu können und ohne die Unterstützung von Mitarbeitern lassen sich rechtlich anspruchsvolle Probleme dabei aber kaum bearbeiten. Das Mandat des Ausschusses muss deshalb verlängert werden, um die noch fehlenden Dokumente analysieren zu können. Nur wenn die geheimen Dokumente in die Ausschussarbeit einbezogen werden und das Mandat verlängert wird, kann der Ausschuss aufklären, wer für die Steuervermeidungdeals in Europa verantwortlich ist.

Geschieht dies nicht, muss ein ordentlicher Untersuchungsausschuss eingerichtet werden, der die Einsicht in die Dokumente erzwingen kann. Wenn nötig, werden wir die Unterschriftensammlung dazu beginnen. Außerdem behalte ich mir vor, die Herausgabe der Dokumente auch selbst über eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof zu erzwingen. Einen persönlichen Antrag auf Dokumentenzugang habe ich bereits gestellt.

 

Ich werde weiterhin über die Vorgänge im Sonderausschuss informieren, rufe aber Whistleblower und Expertinnen und Experten dringend zur Mithilfe auf. Übergeben Sie uns wichtige Informationen, die uns bei der Aufklärung des Steuerdumpings und der Tatenlosigkeit der Staaten helfen. Gerne nehme ich solche Hinweise auch unter Schutz der Quellen oder anonym entgegen.

 

 

TAXE-Bericht in den Endverhandlungen: Unsere Grünen Forderungen

Unser Ziel sind Europäische Gesetze, die Steuerdumping in Zukunft unterbinden. Als Grundlage soll der TAXE Sonderausschuss klären, warum das bisher schief gelaufen ist. Während die Frage der politischen Verantwortung noch zu klären ist, hat der Sonderausschuss inzwischen den Entwurf seines Berichts vorgelegt:

 

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2015/09/TAXE-Entwurf-des-Berichts-DE.pdf

 

Am 23. September endete die Frist für Änderungsanträge. Wir Grüne haben insgesamt 160 Änderungsanträge gestellt, die man unter folgendem Link (vorläufig nur auf Englisch) einsehen kann:

 

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2015/09/PE564-938_23-09-2015_14-58-34-Greens-amendments-FINAL-3.pdf

 

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2015/09/Amendment-by-Sven-Giegold-on-behalf-of-the-Greens1.pdf

 

Unsere wichtigsten zehn Forderungen in Form von Änderungsanträgen zum Bericht des Sonderausschusses sind:

 

  1. Die für Steuerdumping Verantwortlichen benennen

 

Jene, die Steuerdumping betrieben oder ermöglicht haben, müssen zur Verantwortung gezogen werden. Wir kritisieren die EU-Mitgliedstaaten (Bulgarien, Dänemark und Slowenien), die unsere Fragen nicht beantwortet haben, die EU-Kommission, die entscheidende Dokumente zurückhält und den Rat der EU, der kaum nützliche Informationen bereitstellte (Änderungsanträge 92-96). Wir sagen klipp und klar, dass die Kommission ihrer Rolle als Hüterin der europäischen Verträge nicht ausreichend nachgekommen ist (Änderungsantrag 100).

 

  1. Transparenz und klare Regeln für Steuervorbescheide

 

Die LuxLeaks-Enthüllungen und unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass grenzüberschreitend tätige Konzerne Steuervorbescheide (Tax Rulings) missbrauchen, um ihre Steuerlast zu drücken. Wir schlagen daher vor, dass alle EU-Mitgliedstaaten die von ihnen abgesegneten Steuervorbescheide veröffentlichen, damit jede Bürgerin und jeder Bürger nachprüfen kann, ob einzelne Unternehmen vom Finanzamt bevorzugt werden (Änderungsantrag 112). Außerdem fordern wir einen gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen für Steuervorbescheide der Mitgliedstaaten (Änderungsantrag 116) und eine regelmäßige Überprüfung, ob bestehende Steuervorbescheide noch passend sind (Änderungsantrag 115).

 

  1. Echte Steuertransparenz

 

Wir fordern Unternehmen schon seit Langem auf, in Sachen Steuern transparenter zu sein.

Konkret brauchen wir eine öffentliche länderübergreifende Finanzberichterstattung (Änderungsantrag 133) und öffentlich einsehbare Register zu den wirtschaftlichen Eigentümern von Unternehmen, damit klar ist, wer hinter Mantelgesellschaften, Treuhandgesellschaften (trusts) und anderen Steuervermeidungsvehikeln steht (Änderungsantrag 137). Zentral- und Landesregierungen sollten öffentlich darstellen, auf wie viel Steuereinnahmen sie verzichten, indem sie Unternehmen Steuervorteile gewähren (Änderungsantrag 136).

 

  1. Ein europäischer Fonds für Hinweisgeber

 

Spektakuläre Enthüllungen wie den LuxLeaks Skandal gibt es nur durch mutige Hinweisgeber (Whistleblower). In vielen Mitgliedstaaten droht Hinweisgebern noch immer eine Gefängnisstrafe. Daher schlagen wir einen EU-weiten Fonds vor, der Hinweisgeber für finanzielle Verluste entschädigt (Änderungsantrag 138).

 

  1. Steuergeheimnis und Briefkastenfirmen bekämpfen

 

Das Steuergeheimnis ist europaweit auf dem Rückzug, aber noch immer ist der Austausch von Steuerinformationen mangelhaft. Wir fordern daher öffentliche Statistiken, wie viel Informationen die Staaten tatsächlich austauschen (Änderungsantrag 113). Außerdem stellen wir uns gegen den Vorschlag einer europäischen Ein-Personen-Gesellschaft (Societas Unius Personae, kurz: SUP) der Kommission, da die Online-Registrierung dieser Rechtsform ein neues Tor für Briefkastenfirmen aufmacht (Änderungsantrag 110).

 

  1. Eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB)

 

Die gute Idee einer einheitlichen Basis für die Berechnung der Steuerschuld von Unternehmen wird seit Jahrzehnten diskutiert. Wir fordern die Kommission auf, so schnell wie möglich einen neuen Gesetzesvorschlag zur GKKB vorzulegen (Änderungsantrag 117). Die Mitgliedstaaten müssen diesen Vorschlag umgehend umsetzen und sollten sich dabei an den Empfehlungen des EU-Parlaments orientieren, damit nicht einzelne Mitgliedstaaten bevorteilt werden (Änderungsantrag 119).

 

  1. Die Gruppe Verhaltenskodex zur Unternehmensbesteuerung stärken und demokratisieren

 

Die Untersuchungen unseres Ausschusses haben deutlich gezeigt, dass die Ratsgruppe Verhaltenskodex (Code of Conduct Group) versagt hat und dass unverbindliche Rechtsinstrumente (soft law) nicht geeignet sind, die notwendigen Änderungen im Steuerrecht der Mitgliedstaaten herbeizuführen.Wir mahnen deshalb dringend an, die Kriterien der Gruppe Verhaltenskodex zu reformieren und ihre Transparenz und ihre Rechenschaftspflicht zu erhöhen (Änderungsantrag 126). Das EU-Parlament sollte die Gruppe Verhaltenskodex dazu bringen können, Steuermaßnahmen zu untersuchen, die es für schädlich hält (Änderungsantrag 126).

 

  1. EU-Beihilfeverfahren beschleunigen und zu Unrecht gewährte Subventionen zurückfordern

Die Regeln der staatlichen Beihilfe sind ein mächtiges Instrument, um Störungen des EU-Binnenmarktes durch steuerliche Sonderbehandlung von Unternehmen zu beseitigen. Wir fordern die vollständige Rückzahlung zu Unrecht gewährter staatlicher Beihilfen (Änderungsantrag 128) und die Ausweitung der Beihilfeverfahren auf alle in den LuxLeaks-Skandal verwickelten Firmen (Änderungsantrag 130). Außerdem sollte das Beihilferecht geändert werden, damit illegale Beihilfen in den EU-Haushalt fließen und Strafen gegen Länder und Unternehmen verhängt werden können, die europäisches Wettbewerbsrecht verletzen (Änderungsantrag 131).

 

  1. Harmonisierte Regeln für ein europäisches Unternehmensteuersystem

 

Im Rat der Mitgliedstaaten ist in Steuerfragen das Einstimmigkeitsprinzip maßgeblich. Fortschritte bei der Harmonisierung von Regeln sind daher nur schwer möglich. Wir fordern dennoch, die dringendsten Reformen rasch umzusetzen: Die Zins- und Lizenz-Richtlinie muss den Staaten mehr Spielraum geben, Quellensteuern zu erheben, damit Unternehmen den Anreiz verlieren, geistiges Eigentum und damit verbundene Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verschieben (Änderungsantrag 108). Wir brauchen einen gemeinsamen Rahmen für Vorschriften zu beherrschten ausländischen Unternehmen (Controlled Foreign Company, kurz: CFC) (Änderungsantrag 122). Die Kommission muss einen Gesetzesvorschlag für eine effektive Mindestbesteuerung unterbreiten, damit Gewinne innerhalb der EU mindestens einmal versteuert werden (Änderungsantrag 142).

 

  1. Strenge Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten

LuxLeaks und unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Prüfungs-, Beratungs- und andere Zwischengesellschaften bei der Steuervermeidung von Unternehmen kräftig mitgeholfen haben. Wir fordern daher einen Gesetzesvorschlag zur Trennung von Prüfungs- und Beratungstätigkeiten bei Prüfungsgesellschaften und anderen Finanz- und Steuerdienstleistern sowie die Abschaffung der erfolgsbasierten Vergütung von Beratungsgesellschaften (Änderungsantrag 149). Expertengremien der EU-Kommission müssen so zusammengesetzt sein, dass die Mitglieder absolut unabhängig von privaten Geschäftsinteressen sind (Änderungsantrag 151).

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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